
Das politische Klima der USA ist vor der Präsidentschaftswahl vergiftet genug, doch möglicherweise fangen die Probleme danach erst richtig an: Angesichts dramatisch sinkender Umfragewerte bestreitet der republikanische Kandidat Donald Trump immer häufiger die Legitimität des Prozesses. Gewaltsame Ausschreitungen seiner Anhänger scheinen zunehmend denkbar.
„Am achten November geben wir besser gut acht, denn diese Wahl wird manipuliert sein“, orakelte Trump unlängst im Fernsehen. „Ich hoffe, die Republikaner schauen genau hin, oder die Wahl wird uns gestohlen.“
Dass Verlierer Mehrheitsentscheidungen akzeptieren, gehört zu den Grundvoraussetzungen einer Demokratie, doch Trump setzt selten auf Konsens. Je näher der Wahltag rückt, desto deutlicher wird sein Desinteresse daran, seinem Land einen Neuanfang zu ermöglichen, wenn er nicht gewinnt.
„Der einzige Weg zu einer Niederlage für uns ist, wenn es Betrug gibt“, hatte er schon im August verkündet. Am Wochenende beschuldigte er die Medien einer Verschwörung. Am Montag twitterte er, es gebe „selbstverständlich weit verbreiteten Wahlbetrug“.
Experten widersprechen, doch die These verfängt: In einer aktuellen Umfrage von Politico und Morning Consult halten es 73 Prozent der befragten Republikaner für möglich, dass Trump durch Betrug um den Wahlsieg gebracht wird.
Manche Anhänger ziehen drastische Folgerungen. Das „Wall Street Journal“ und der „Boston Globe“ interviewten am Donnerstag bei einer Trump-Rallye einen Mann, der kaum verhohlen forderte, die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton zu töten. „Ich hoffe, wir können einen Coup starten“, erklärte er unter anderem. „Es wird viel Blutvergießen geben.“ Vor einer Woche hatte eine Wählerin bei einer Veranstaltung von Trumps Vize Mike Pence erklärt: „Ich bin bereit für eine Revolution, weil wir sie (Hillary Clinton) einfach nicht im Amt haben können.“
Auf der Gegenseite gibt es ebenfalls Radikalisierte: Am Wochenende wurde im Bundesstaat North Carolina ein Republikaner-Büro mit einer Brandbombe verwüstet. Clinton verurteilte jegliche Gewalt allerdings umgehend, und eine Online-Kampagne von Demokraten sammelte 13 000 Dollar für die betroffene Bezirksvertretung. Trump twitterte, der Anschlag gehe auf das Konto von „Tieren, die Hillary Clinton und die Demokraten repräsentieren“.
Im August hatte Trump persönlich Äußerungen getan, die viele als Aufruf zur Gewalt verstanden. Gegen Richterernennungen durch Hillary Clinton könnten womöglich nur die Verfechter des Rechts auf Waffenbesitz etwas tun, orakelte er damals.
Trumps Vize Pence beteuerte am Sonntag: „Wir werden das Wahlergebnis absolut akzeptieren.“ Sein Chef redet aber täglich neu über vermeintlichen Betrug in der Wahlkabine. Er hat davor gewarnt, dass Wähler „15 Mal“ für Hillary Clinton abstimmen.
Die angeblichen Mehrfachwähler sind ein Phantom, sie spielen statistisch keine Rolle. News21, ein Projekt der Arizona State University, fand von 2000 bis 2012 einen solchen Fall pro 15 Millionen Wähler. Eine Untersuchung der Loyola Law School stieß zwischen 2000 und 2014 auf 35 glaubhafte Anschuldigungen – unter mehr als 800 Millionen Stimmen auf nationaler Ebene. Das konservative Lager ruft dennoch seit langem nach verschärften Kontrollen. Neben der verpflichtenden Vorab-Registrierung sollen Wähler zur Abstimmung einen Fotoausweis mitbringen müssen. Das entsprechende Dokument ist aber nicht immer leicht zu besorgen. Die Betroffenen finden sich überdurchschnittlich häufig unter jungen Menschen, Ärmeren und Minderheiten. In Ermangelung eines echten Problems gilt die Verschärfung sogenannter Voter-ID-Gesetze deshalb vor allem als Versuch, die Wahlteilnahme von tendenziell demokratisch stimmenden Schichten zu erschweren.
Gerichte haben Versuche, das Wahlrecht zu manipulieren, immer wieder blockiert; vor allem republikanisch regierte Staaten fallen dabei negativ auf. Zu den häufigsten Methoden gehören veränderte Zuschnitte von Wahlbezirken, die Erschwerung der Briefwahl oder verkürzte Öffnungszeiten missliebiger Wahllokale.
Kürzlich zwang ein Bundesrichter den wichtigen Wechselwählerstaat Florida, die Registrierungsphase zur Wahl zu verlängern, weil Hurrikan „Matthew“ das Leben vieler Einwohner auf den Kopf gestellt hatte. Der republikanische Gouverneur Rick Scott hatte einen solchen Schritt hartnäckig verweigert – aus politischen Gründen, wie Kritiker glauben. Floridas Gouverneur hatte vor wenigen Tagen schon einmal eine Niederlage hinnehmen müssen. Derselbe Bundesrichter, der Hurrikanopfern zur Seite sprang, erklärte ein Gesetz für verfassungswidrig, demzufolge Wahlhelfer anhand von Unterschriftenvergleichen hätten entscheiden dürfen, ob sie Stimmzettel auszählen oder in den Papierkorb werfen. Eine solche Praxis sei schlicht „obszön“, wetterte der Jurist.
Die Stimmung im Land kippt zusehends gegen Trump. Jüngste Umfragen zeigen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bis zu zwölf Prozentpunkte vor ihrem republikanischen Konkurrenten (Monmouth University). Eine Erhebung von „Wall Street Journal“ und NBC ergab unter Wählern, die wahrscheinlich abstimmen gehen, 48 Prozent Zustimmung für Clinton, 37 Prozent für Trump, sieben Prozent für Gary Johnson (Libertarian Party) und zwei Prozent für die Grüne Jill Stein. Wenn die Befragten sich nur zwischen Clinton und Trump entscheiden sollen, führt Clinton mit 51 zu 41 Prozent. CBS kam zu ähnlichen Ergebnissen.
Trump belässt es nicht bei Rufen nach der Verwaltung. Anfang des Monats rief er seine überwiegend weißen Anhänger in Pennsylvania auf, „in bestimmten Gegenden“ vor Wahllokalen Wache zu halten – eine Bemerkung, die weithin als Aufruf zur Einschüchterung von Afroamerikanern verstanden wurde. Die Demokraten trainieren wie schon in früheren Jahren ein Heer von freiwilligen Helfern, die Wählern in Bedrängnis juristischen Beistand leisten sollen.