Abel Lanzac hätte ein Enthüllungsbuch schreiben oder den Redakteuren der französischen Satire-Wochenzeitung „Le Canard enchaîné“ als Informant für würzige Artikel dienen können. Doch seine Idee war origineller: Mit dem Zeichner Christophe Blain veröffentlichte er einen politischen Comic über das diplomatische Hauen und Stechen zwischen Frankreich und den USA im Vorfeld des Irakkriegs 2003 und die Hintergründe für das französische „Non“ zu einer Beteiligung.
„Quai d'Orsay – Hinter den Kulissen der Macht“ heißt das Werk in zwei Bänden. Mit einer Auflage von einer halben Million war es ein Überraschungserfolg, wurde verfilmt und beim Comic-Festival von Angouleme ausgezeichnet. Inzwischen ist es auch in deutscher Sprache erhältlich.
Lanzac und Blain gewähren einen Blick ins Herzstück des „Quai d’Orsay“, des französischen Außenministeriums, und zeigen, wie dort Weltpolitik gemacht wurde. Es ist ein Insider-Blick, denn von 2002 bis 2004 war der Autor Ministerialbeamter im Außenministerium. Drei Jahre lang versteckte er seine wahre Identität hinter dem Pseudonym Abel Lanzac, um, wie er in einem Interview sagte, seine Freiheit zu bewahren. Ihm sei es darum gegangen, Mechanismen der Macht zu studieren – was ihm auf beeindruckende Weise gelungen ist. Erst bei der Preisverleihung in Angouleme lüftete der junge Diplomat das Geheimnis und outete sich als Antonin Baudry, der heute als Kulturattaché der französischen Botschaft in New York arbeitet. Auch die Begebenheiten, die er beschreibt, gehören inzwischen der jüngeren Geschichte an.
„Quai d’Orsay – Hinter den Kulissen der Macht“ steuert auf eine schlagzeilenträchtige Sitzung des UN-Sicherheitsratsrates zu, in der es um Krieg oder Frieden geht. In der Realität fand die Sitzung im Februar 2003 statt. In ihr sprach der damalige US-Außenminister Colin Powell über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen und zeigte Satellitenfotos von Lkw mit angeblichen mobilen Biowaffen-Labors. Später bezeichnete er seinen Auftritt als „Schandfleck“ seiner Karriere. Im März 2003 sollte der Krieg gegen Saddam Husseins Regime beginnen, Massenvernichtungswaffen aber wurden im Irak nicht gefunden.
Im Comic ist der Irak das „Königreich Lousdem“, Colin Powell heißt „Jeffrey Cole“ und sein französischer Gegenspieler „Alexandre Taillard de Vorms“ – der sich unschwer als Dominique de Villepin identifizieren lässt, dem ebenso flamboyanten wie großspurigen Außenminister. Statt sich verunglimpft zu fühlen, erklärte der Ex-Minister selbst: „Um ehrlich zu sein, bleibt der Comic sogar unterhalb der Realität.“
Dabei schmeichelt die Karikatur dem konservativen Politiker wenig, der von 2005 bis 2007 auch französischer Premierminister war. Zwar erscheint er als standfest gegenüber den USA an der Seite seines damaligen deutschen Kollegen Joschka Fischer, der ebenfalls zu Comic-Ehren kommt: Für seine Rolle in dem Konflikt wird er in Frankreich bis heute verehrt, auch wenn er nach einem unerbittlichen Zweikampf mit Nicolas Sarkozy weitgehend von der politischen Bühne verschwunden ist.
Doch ähnelt seine Figur gleichzeitig einem HB-Männchen: stets kurz davor, in die Luft zu gehen. Wie die französische Komikerlegende Louis de Funes durchmisst „de Vorms“ mit raumgreifenden, zackigen Bewegungen jeden Ort und macht dabei reichlich Wind. „Das muss gesagt werden“, ist seine Lieblingsfloskel. Und: „Notieren Sie!“ Sowie der wunderbare Satz: „Wir haben ein Rendezvous mit der Geschichte.“
„De Vorms“ Beraterstab, darunter der junge Redenschreiber „Arthur Vlaminck“, muss die Geistesblitze des Ministers ausbaden. So sehr „Vlaminck“ der alltägliche Wahnsinn des Regierens irritiert, so sehr wird er süchtig danach. Politik, wie sie Lanzac beschreibt, ist ein dreckiges Geschäft, voller Intrigen, und entsteht aus Launen heraus – ein frustrierender Befund. Und doch huldigt er jenen Vollblutpolitikern, die sich nachts um drei Uhr in einem Beratungszimmer zusammenfinden, um den Gang der Welt zu entscheiden. Letztlich, so Abel Lanzac, sei Politik ein „wettbewerbsorientierter Sport“, den man auch mit Humor sehen könne. Das hat er bewiesen.
Abel Lanzac/Christophe Blain: „Quai d’Orsay – Hinter den Kulissen der Macht“. Reprodukt Verlag, Berlin 2012. 192 Seiten, 36 Euro.