Die Reformen der schulischen Bildung, die Deutschland nach dem „Pisa-Schock“ zu Beginn des Jahrtausends vorgenommen hat, haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Zahl der Kinder aus sozial schwachen und benachteiligten Familien, die beim Pisa-Test erfolgreich abschneiden und beim Lesen, in Mathematik und den Naturwissenschaften mindestens eine durchschnittliche Leistung erbringen, ist zwischen 2006 und 2015 von 25 auf 32,3 Prozent gestiegen – und damit so schnell wie in kaum einem anderen Industrieland. Allerdings liegt Deutschland mit diesem Wert noch immer unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Die Spitzenreiter Estland, Japan und Kanada liegen mit Werten deutlich über oder knapp unter 40 Prozent weit vor Deutschland.
Bei der Vorstellung einer neuen Pisa-Studie am Montag in Berlin gab es daher von Andreas Schleicher, dem Direktor der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) für Bildung, neben viel Lob für Deutschland auch mahnende Worte. Zwar sei durch die Bildungsreformen viel erreicht worden, gleichwohl sei die soziale Herkunft der Schüler in der Bundesrepublik noch immer eine gewaltige Barriere.
Die Chancen verbessern
Das Land dürfe bei seinen Bemühungen nicht nachlassen, die Chancen für Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Elternhäusern zu verbessern. „Es ist der letzte abfahrende Zug“, mahnte Schleicher, nötig seien weitere Verbesserungen des Schulsystems. „Die Menschen, die an einer guten Erstausbildung scheitern, haben später kaum noch Chancen.“
Die wichtigste Erkenntnis der Bildungsforscher: Der Lernerfolg steht und fällt mit der Stimmung an der Schule und den Bedingungen, die im Klassenzimmer herrschen. Das sei wichtiger als die Klassengröße oder die Mittelausstattung. „Ein geordnetes und lernorientiertes Klima im Klassenzimmer ist ein entscheidender Faktor hinter dem Schulerfolg bildungsferner Schülerinnen und Schüler“, sagte Schleicher. Wichtige Kriterien seien unter anderem ein stabiler Lehrkörper mit geringer Fluktuation, eine führungsstarke Schulleitung, motivierte Lehrerinnen und Lehrer sowie die Bereitschaft von Lehrern, Eltern und Schüler zu einer engen Zusammenarbeit. Sind die Bedingungen für die Lehrer gut, lernen auch die Schüler besser, interessieren sich die Lehrer für die persönliche Situation und das Lebensumfeld ihrer Schüler, entwickeln diese im Gegenzug Vertrauen und engagieren sich stärker.
Nach Erkenntnissen der OECD haben sich die Reformen des Bildungssystems vor allem für die benachteiligten Schüler positiv ausgewirkt. Der flächendeckende Ausbau der Betreuungsplätze in Krippen und Kindergärten und die frühkindliche Förderung kommen ihnen ebenso zugute wie die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen zu Gemeinschaftsschulen sowie die Ausweitung der Ganztagesschulen. „Benachteiligte Schüler profitieren vom gemeinsamen Unterricht mit bessergestellten Schülern“, statt einer frühen Trennung der Schüler sprach sich OECD-Bildungsforscher Andreas Schleicher für einen möglichst langen gemeinsamen Unterricht aus. Und wichtiger als eine bessere Ausstattung beispielsweise mit Computern seien gemeinsame schulische Aktivitäten jenseits des Unterrichts.
Ganztagsangebote positiv
„Dies lässt darauf schließen, dass sich Investitionen in Ganztagsangebote positiv auf den Lernerfolg sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler auswirken.“ Wie es geht, trotz starken Zuzugs von Ausländern das Niveau der Schüler zu verbessern, habe Singapur gezeigt, so Bildungsforscher Schleicher. Dort unterrichten die Lehrer nur elf bis 16 Stunden pro Woche, aber befassen sich außerhalb des Klassenverbandes intensiver mit den einzelnen Schülern, sprechen wöchentlich mit den Eltern und beraten untereinander stärker über die Schüler.