Die Nachricht kam nicht ganz unerwartet, sie hat zwei Teile und viel politisches Gewicht: Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller zieht es in die Bundespolitik. Der SPD-Politiker will im Mai nicht mehr für den Landesvorsitz kandidieren und stattdessen im Herbst wohl für einen Platz im Bundestag antreten. Das ist die eine Hälfte der Nachricht, die zweite ist noch bedeutsamer: Für Müller soll Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in einer Doppelspitze mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh die Landes-SPD übernehmen und sich offenbar als Müllers Nachfolgerin um den Spitzenposten im Roten Rathaus bewerben.
In der Hauptstadt wird schon lange darüber spekuliert, dass Giffey die Karriereleiter wieder ein paar Sprossen hinabsteigt und in die Landespolitik zurückgeht. Die 41-Jährige ist seit März 2018 Bundesfamilienministerin und hat diesen Job solide und unauffällig ausgefüllt. Abseits der politischen Agenda machte sie mit Unsauberkeiten bei ihrer Doktorarbeit von sich Reden.
Frau aus dem Osten
Giffey kam bei der Regierungsbildung 2018 überraschend und kurzfristig vor allem deshalb ins Bundeskabinett, weil die SPD unbedingt noch eine Frau aus dem Osten zur Ministerin machen wollte. Vorher hatte sie ihr Geld als Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Neukölln verdient. Aus dieser Zeit hält sich hartnäckig die Einschätzung, Giffey habe eine herausragende Arbeit gemacht. Wer dieser Tage durch Neukölln geht, merkt davon allerdings wenig.
Vor dem Hintergrund schlechter Umfragewerte für die Bundes-SPD darf Giffeys Entscheidung getrost als Flucht nach vorne verstanden werden. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass die SPD ein weiteres Mal in die Spitze der Regierung kommt. Darüber hinaus hatten es SPD-Politiker aus Berlin bei den letzten Wahlen schwer, einen Platz im Bundestag zu ergattern. Von den aktuell 28 Berliner Abgeordneten stammen nach Angaben des Bundestages fünf von der SPD. Wollte Giffey Bundestagabgeordnete werden, wäre auch das ein unsicherer Weg.
SPD in Berlin schwächelt
Während sie den Posten als SPD-Landesvorsitzende dem Vernehmen nach sicher hat, ist es allerdings überhaupt nicht ausgemacht, dass Giffey Müller auch im Amt des Ministerpräsidenten folgen kann. Denn die SPD in Berlin schwächelt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa von Anfang Januar sind die Sozialdemokraten in Berlin auf etwa 15 Prozent abgestürzt. Sie sind damit nur knapp besser als die AfD (13 Prozent), liegen aber hinter CDU (18), Linken (19) und Grünen (23). Bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 hatte die SPD 21,6 Prozent geholt.
Die Hoffnung der Berliner SPD ist, dass Giffey genau dieses Ruder noch herumreißen kann. Müller agierte als Regierender bisher glanz- und glücklos, die schlechten Umfragewerte werden auch ihm zugeschrieben. Den Genossen in Berlin fehlt das Zutrauen, der Bürgermeister könne als Zugpferd noch Fahrt aufnehmen. Giffey wird im sozialdemokratischen Spektrum zudem eher dem rechten Rand zugeordnete, sie könnte im Wahlkampf als Law-and-Order-Frau auftreten und CDU sowie AfD Stimmen abjagen.
Der Regierende erklärte in einer Pressekonferenz am frühen Abend dann auch folgerichtig, er wolle mit seinem Schritt eine „anstrengende Personaldiskussion“ auf dem Landesparteitag im Mai verhindern. Er gehe davon aus, dass seine Arbeit als Bürgermeister ohne die Belastung durch die Doppelfunktion eher noch besser werde.
Der Frage nach einer Kandidatur für den nächsten Bundestag wich Müller zwar mit dem Hinweis aus, dies werde erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Er hatte allerdings schon in den letzten Monaten Ambitionen erkennen lassen, in die Bundespolitik wechseln zu wollen.
Giffeys Berwerbungsrede
Giffey vermied eindeutige Aussagen zu einer Kandidatur als Ministerpräsidentin zwar. Aber schon ihr Auftritt bei der Pressekonferenz mit Müller und Saleh geriet zu Bewerbungsrede. „Ich bin Berlinerin und als Berlinerin liebe ich meine Stadt“, sagte Giffey und warb unter anderem für mehr Wohnraum und mehr Sicherheit.
Sie mache ihre Arbeit in der Bundesregierung gerne, sagte Giffey und betonte gleichzeitig: „Aber mir ist eben auch unserer sozialdemokratische Partei wichtig und gerade die SPD in Berlin“. Für sie stelle sich die Frage, welchen Beitrag sie eigentlich dazu leisten könne, „dass es gelingt, dass es gut wird“.
Konflikte mit ihrem Ministerposten sieht Giffey nicht. Es gebe keine Gründe, die „der Tätigkeit einer Bundesministerin aus grundsätzlichen Überlegungen heraus entgegenstehen sollten“. Einen Interessenkonflikt gebe es nicht. „Ganz im Gegenteil. Ich werde meine Tätigkeit als Bundesfamilienministerin fortführen.“