In der Union wächst die Nervosität. Angesichts des anhaltenden Umfragehochs von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nimmt der Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zu, endlich in die Offensive zu gehen und den Forderungen des Herausforderers ein eigenes Programm entgegenzusetzen. Die CSU wie der Wirtschaftsflügel der CDU setzen dabei vor allem auf eine Steuerreform.
Mit Blick auf den Überschuss von 23,7 Milliarden Euro, den die öffentlichen Kassen im vergangenen Jahr erzielten, sei eine substanzielle Entlastung der Bürger nicht nur überfällig, sondern auch dringend geboten, sagten mehrere Unionspolitiker gegenüber dieser Redaktion.
Bislang hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) alle Rufe nach einer größeren Steuerreform abgeblockt und lediglich Entlastungen in einem Umfang von 15 Milliarden Euro pro Jahr in Aussicht gestellt, zudem sollte der Solidaritätszuschlag zwischen 2020 und 2030 in zehn Schritten abgebaut werden.
Zu wenig und zu halbherzig
Doch das ist vielen Christdemokraten zu wenig und zu halbherzig. „Die Politik muss 2017 – am besten noch vor der Bundestagswahl – dringend umsteuern und ein investitionsfreundliches Klima schaffen“, sagte der Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, Wolfgang Steiger, gegenüber dieser Redaktion „Bei den zu erwartenden Steuermehreinnahmen in Höhe von 130 Milliarden Euro bis 2021 liegt es nahe, hierfür steuerliche Entlastungen in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro im Jahr vorzunehmen.“
Nach Ansicht des Wirtschaftsrates besteht ein „dringender Handlungsbedarf“ bei der Abschaffung des Solidaritätszuschlags, beim Abschmelzen des sogenannten Mittelstandsbauches (kalte Progression) sowie bei der Anhebung des Jahreseinkommens, ab dem der Höchstsatz der Einkommensteuer zu greifen beginnt.
Gleichzeitig appellierte Steiger an Finanzminister Schäuble, die von ihm in Aussicht gestellte Reform der Unternehmensteuer so zu gestalten, „dass unsere Betriebe wettbewerbsfähiger werden“. Aus Sicht des Wirtschaftsflügels der Union besteht dringender Handlungsbedarf, da US-Präsident Donald Trump in seiner Rede vor beiden Kammern des Kongresses in der Nacht zu Mittwoch eine große Steuerreform ankündigen wird, die eine deutliche Entlastung der US-Wirtschaft zum Ziel habe. Darauf müsse auch Deutschland „zügiger mit einer Senkung der Körperschaftssteuer reagieren“, sagte Steiger.
Dank der „soliden Haushaltspolitik Schäubles“ könne Deutschland „jederzeit Steuersenkungen vornehmen – ohne sie wie der US-Präsident mit Schulden finanzieren zu müssen“.
Ähnlich argumentierte auch der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, der baden-württembergische CDU-Abgeordnete Christian von Stetten (Künzelsau), gegenüber dieser Redaktion. „Es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin in die Offensive gehen muss. Die Zeit der Demobilisierungsstrategie ist vorbei.
“ Die Menschen wollten klare Antworten, wie es in den nächsten Jahren weitergehe, das gelte für die Ausländerpolitik ebenso wie für die Steuerpolitik. Der „Schulz-Hype“ werde wieder abflauen, „wenn die CDU den Bürgern eine klare ordnungspolitische und an den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft orientierte Politik anbietet“, so von Stetten.
Forderungen von allen Seiten
Auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt schloss sich den Forderungen nach einer großen Steuerreform an. Von den Entlastungen sollten vor allem „Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen“ profitieren. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, brachte neben einer jährlichen Entlastung der Bürger von 20 bis 30 Milliarden Euro zusätzlich eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 3,0 auf 2,7 Prozent des Brutto-Monatsgehalts ab 2018 ins Gespräch. Allein die Arbeitslosenversicherung erzielte im vergangenen Jahr einen Überschuss von 5,4 Milliarden Euro und hat insgesamt Rücklagen in Höhe von 11,4 Milliarden Euro.
Der Bund der Steuerzahler forderte gar eine Senkung auf 2,5 Prozent. „Dieser Schritt würde Arbeitnehmer und Arbeitgeber entlasten, ohne dass Versicherungsleistungen gekürzt werden müssten“, sagte Vizepräsident Zenon Bilaniuk. Auch nach einer Beitragssenkung wäre die Versicherung „finanziell gut aufgestellt“.