Der kleine Fiat 500, in dem Franziskus Teile seiner USA-Reise absolviert, ist längst zu einem Markenzeichen geworden. Als Zehntausende seine Ankunft vor der imposanten Kulisse des Kapitols bejubeln, wirkt der Wagen noch bescheidener als sonst. Auf dem Weg aus der Nuntiatur hat der Papst Menschen umarmt und mit Kindern Selfies geschossen; auch im Kongress bleibt er volksnah: Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit müht er sich durch eine große Rede komplett auf Englisch, Premiere war am Vortag vor dem Weißen Haus.
Offiziell ist Franziskus als vatikanisches Staatsoberhaupt zu Gast, aber was man von ihm erwartet, geht darüber hinaus. Der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, selbst Katholik, hat darum gebeten, der Ansprache nicht politisch, sondern mit offenem Herzen zu begegnen.
Der Papst kommt mit einer Lektion in Geschichte und einigen eindringlichen Mahnungen. Er sei dankbar, im Land der Freiheit sprechen zu können, das weltweit die Träume unzähliger Menschen inspiriert habe, sagt er. „Ein Volk mit diesem Geist kann viele Krisen, Spannungen und Konflikte durchstehen und dabei immer Ressourcen finden, um sich weiterzuentwickeln, und das in Würde.“ Allerdings erfordere das Mut und Opferbereitschaft.
Der Papst erinnerte an vier große Amerikaner, die ihr Land auf diese Weise geprägt hätten: Den ehemaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln, den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King, die Sozialaktivistin Dorothy Day und den Mystiker Thomas Merton, den Franziskus für seine Dialogbereitschaft lobt.
Die Welt habe im 20. Jahrhundert große Fortschritte gemacht, sagt der Papst. Sie sei aber zunehmend von gewaltsamen Konflikten geprägt und derzeit Schauplatz von Flüchtlingsbewegungen, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben habe. Franziskus ruft dazu auf, Migranten als Personen, nicht als Zahlen wahrzunehmen, auch an der mexikanischen Grenze. Wer Sicherheit, Leben und Chancen für sich erhoffe, müsse sie auch für andere suchen. „Das Maß, mit dem wir andere messen, ist das Maß, mit dem die Zeit uns selbst messen wird“, sagt der Papst.
Franziskus' entschiedene Aufrufe zum Kampf gegen Ungleichheit und Klimawandel sind erwartet worden, auch sein Plädoyer gegen Waffenhandel erstaunt höchstens in seiner Deutlichkeit. Dennoch überrascht der Pontifex beide Parteien im Kongress: Der Schutz des menschlichen Lebens müsse in jedem Stadium gelten, beginnt er unter dem Beifall von Republikanern, die einen Beitrag zum Thema Abtreibung erwarten. „Diese Überzeugung“, fährt er allerdings fort, „hat mich seit dem Beginn meines Dienstes für eine weltweite Ächtung der Todesstrafe eintreten lassen.“ Nun sind mehrheitlich Demokraten erfreut. Vereinnahmen lässt Franziskus sich von keiner Seite: Zum Schluss seiner Rede bringt er tiefe Sorge um die Institution der Familie zum Ausdruck, die bedroht sei „wie vielleicht niemals zuvor“. Allerdings spielt er nicht nur auf die Freigabe der Homo-Ehe in den USA an. Ein Land könne seiner Jugend neben zu wenigen Chancen auch zu viele bieten, sagt der Papst, so dass beide Gruppen zögerten, eine Familiengründung zu riskieren.
Dass Franziskus einen idealen Politiker als jemanden beschreibt, der Prozesse anstößt und Chancen ergreift, dass er das ausgerechnet im Kontext der Kuba- und Irandebatte tut – das dürfte Präsident Barack Obama freuen. Allerdings hat das Kirchenoberhaupt am Mittwoch auch einen ungeplanten Solidaritätsbesuch bei einem Nonnenorden absolviert, der die Regierung verklagt hat – die Schwestern protestieren gegen die Pflicht, kirchlichen Angestellten über deren Krankenversicherung auch Verhütungsmittel zu finanzieren.