Drei Monate vor Beginn des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit und einen Monat vor Beginn der Bischofssynode zum Thema Familie hat Papst Franziskus erneut ein deutliches Signal zu mehr Offenheit in der katholischen Kirche gegeben. In einem am Dienstag veröffentlichten Brief an den Organisator des Heiligen Jahres, Erzbischof Rino Fisichella, erteilte der Papst weltweit allen Priestern das Mandat zur Vergebung der Abtreibung. Nach dem Katechismus der katholischen Kirche ist Abtreibung eine „schwere Sünde“ und hat die Exkommunikation zur Folge.
Der 78 Jahre alte Papst schrieb in dem Brief vom „Drama der Abtreibung“, bei dem es sich um ein „schwerwiegendes Übel“ handelte. Über die Frauen, die eine Abtreibung vorgenommen hätten, hieß es in dem Schreiben: „Ich weiß um den Druck, der sie zu dieser Entscheidung geführt hat. Ich weiß, dass dies eine existenzielle und moralische Tragödie ist.“
Er sei sehr vielen Frauen begegnet, die in ihrem Herzen „die Narben dieser leidvollen und schmerzhaften Entscheidung trugen“. Diesen Menschen könne die Vergebung aber nicht vorenthalten werden. „Ungeachtet gegenteiliger Bestimmungen“ gebe er während des Jubiläumsjahres allen Priestern die Vollmacht, reuige und um Vergebung bittende Gläubige „von der Sünde der Abtreibung“ loszusprechen. „Dieses Jubiläum der Barmherzigkeit schließt niemanden aus“, schrieb Franziskus.
Der Erlass bezieht sich auf Gläubige in aller Welt. In den meisten Ländern ist die Vergebung „schwerer Sünden“ wie der Abtreibung nur durch Bischöfe oder von diesen beauftragten Priestern möglich. In Deutschland oder Österreich hingegen gilt die jetzt vom Papst für das Heilige Jahr erlassene Regel schon länger. Nach Beschlüssen der dortigen Bischofskonferenzen ist die Vergebung von Sünden nach einer Abtreibung allen Priestern möglich.
Überraschend nahm Franziskus auch erstmals öffentlich zur umstrittenen und ultrakonservativen Pius-Bruderschaft Stellung, zu der sein Vorgänger Papst Benedikt XVI. Annäherung suchte. „Ich vertraue darauf, dass in naher Zukunft Lösungen gefunden werden können, um die volle Einheit mit den Priestern und Oberen der Bruderschaft wiederzugewinnen“, schrieb Franziskus. Der Sündenablass sei während des Heiligen Jahres auch durch Priester der 1970 vom Traditionalisten-Bischof Marcel Lefebvre gegründeten Piusbruderschaft gültig. Die Piusbrüder lehnen wichtige Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils ab. Ihre Mitglieder fielen teilweise durch Antisemitismus auf.
Das von Franziskus im März angekündigte „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ beginnt am 8. Dezember, dem Tag, an dem sich das Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils zum 50. Mal jährt. Auch die Wahl dieses Datums wird als Signal für mehr Offenheit in der Kirche im Geist des Konzils interpretiert. Das Jubiläum dauert bis 20. November 2016.
Gläubige aus aller Welt sind aufgerufen, in Rom die Heilige Pforte des Petersdoms zu durchschreiten und um den vollständigen Ablass ihrer Sünden zu bitten. Zudem ist ein Sündenablass in jeder Kathedrale oder vom Diözesanbischof bestimmten Kirche sowie in den drei weiteren päpstlichen Basiliken in Rom möglich. Franziskus bestimmte, dass der Ablass auch in Wallfahrtskirchen und Jubiläumskirchen gewährt werden kann. Die Stadt Rom erwartet zu dem Ereignis rund 25 Millionen Pilger und Touristen.