zurück
WÜRZBURG
„Palliativmedizin wurde stark beschädigt“
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:48 Uhr

„Gestern wurde die Palliativmedizin gestärkt, heute stark beschädigt.“ Der Würzburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Professor Eric Hilgendorf von der Universität Würzburg kritisiert das Abstimmungsergebnis der Bundestagsabgeordneten zur Regelung der Sterbebegleitung. Am Donnerstag entschieden die Parlamentarier, dass die Hospiz- und Palliativversorgung finanziell besser ausgestattet wird. Am Freitag folgte nach Ansicht Hilgendorfs eine bedenkliche Entscheidung. „Die Tätigkeit des Palliativmediziners wird nun in den strafrechtlichen Graubereich gezogen und massiv erschwert. Es wird nicht einfach sein, den Hospiz- und Palliativbereich künftig aus der Strafbarkeit herauszuhalten.“

Hilgendorf erläutert dies an einem Beispiel: In Hospizen komme es immer wieder vor, dass Todkranke bei klarem Verstand erklären, sie wollten keine Nahrung mehr zu sich nehmen mit der Absicht zu sterben. Deshalb gebe es oft einen eigenen Raum, wo die Sterbewilligen betreut, aber ihrem Wunsch gemäß ohne Nahrung bleiben. „Diese Situation ist jetzt strafrechtlich erfasst, denn es wird damit laut Neufassung des Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt.

“ Eine Zwangsernährung sei aber Körperverletzung, so Hilgendorf. Fazit: „Nach dem neuen Gesetz ist die Gewährung des Suizids strafbar, das Verhindern des Suizids ebenfalls.“

Ein weiterer Problempunkt sei der Begriff „geschäftsmäßig“. Er bedeutet, juristisch gesehen: „auf Wiederholung angelegt“. Das Hospiz, das Zimmer für sterbewillige Nahrungsverweigerer vorbereitet, handelt laut Strafrechtler Hilgendorf geschäftsmäßig, weil regelmäßig.

Rainer Schäfer sieht das Sterbefasten dagegen nicht als Suizidbeihilfe, sondern als Teil der palliativmedizinischen Begleitung. Der Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Palliativmedizin im Würzburger Juliusspital hätte sich aber gewünscht, dass es keine neuen gesetzlichen Regelungen gegeben hätte oder dass deutlich herausgearbeitet worden wäre, dass nur kommerziell ausgerichtete Sterbehilfevereine betroffen sind und Ärzte außen vor bleiben.

Durch den Sieg des Gruppenantrags um die Abgeordneten Michael Brand (CSU) und Kerstin Griese (SPD) werde nun das ärztliche Handeln beeinflusst – direkt und indirekt. „Wenn ein Patient sagt, dass er Suizidgedanken habe, dann werden Mediziner nun vorsichtiger in der Beratungsstätigkeit sein und Vorbehalte haben, ihm hochwirksame Medikamente zu verschreiben, die bei unsachgemäßer Einnahme zum Tod führen können.“ Es bestünde sonst die Möglichkeit des Vorwurfs, der Arzt habe den Patienten zum Suizid ermuntert – oder gemäß dem Wortlaut von Paragraf 217 mit Absicht die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt.

Auch andere Szenarien fürchtet Palliativmediziner Schäfer: Wenn etwa Angehörige eines im Hospiz oder in einer Palliativstation gestorbenen Patienten behaupten, der Arzt habe dessen Suizid zugelassen statt verhindert, dann könnten ebenfalls strafrechtliche Ermittlungen drohen. Auch der Dokumentationsaufwand werde sich erhöhen. „Ärzte werden künftig jede Formulierung abwägen, damit keine Verdachtsmomente aufkommen.

“ Zunächst aber geht Schäfer davon aus, dass sich das palliativ-therapeutische Behandlungsspektrum nicht verändert. „Auch bei einem ethischen Dilemma werde ich zugunsten des Patienten entscheiden.“

Eric Hilgendorf kritisiert, dass bei der Abstimmung im Bundestag „der strafrechtswissenschaftliche Sachverstand nicht gut vertreten war“ – trotz genügender juristischer Vorabinformationen und Erläuterungen für die Politiker. Im Juli warnten 150 Strafrechtsprofessoren sogar in einer von Hilgendorf mitinitiierten Resolution vor einer verschärften Kriminalisierung von Sterbehilfe. „Das Ziel, das Geschäft mit dem Tod beziehungsweise kommerzielle Sterbehilfe zu unterbinden, wird nicht gelingen. Nun gehen die Menschen verstärkt in die Schweiz.“ Das Gesetz verhindere lediglich, dass man auf deutschem Gebiet Sterbehilfe leistet.

Und Schäfer ist sich sicher, dass sich die meisten Menschen nicht genug über die alltäglichen Situationen im Palliativbereich im Klaren sind. „Patienten wollen oft an dem einen Tag sterben, am anderen Tag vermissen sie die Thrombosespritze, weil es ja sonst zu einer Lungenembolie kommen könnte. Wir sind täglich mit Todeswunsch und dem Wunsch nach Leben konfrontiert.“ Eine Reglementierung von politischer Seite hätte es da nicht gebraucht. Fotos: Juliusspital/Theresa Müller

Eric Hilgendorf
| Eric Hilgendorf
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Christine Jeske
CSU
Deutscher Bundestag
Hospize
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Kerstin Griese
Palliativmediziner
Rechtsphilosophen
SPD
Sterbebegleitung
Sterbehilfe
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen