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Olympia: In den Straßen von London
Großbritanniens Metropole ist unglaublich, irre, ruhelos und für zwei Wochen der Mittelpunkt der Sportwelt: Ein Spaziergang mit der England-Korrespondentin des ZDF, Patricia Schäfer aus Würzburg.
Nur auf den ersten Blick französisch: Der Broadway Market in London bietet Exquisites aus aller Welt und ist für Patricia Schäfer so cool wie der Prenzlauer Berg in Berlin zu seinen besten Zeiten.
Foto: Mauritius Images | Nur auf den ersten Blick französisch: Der Broadway Market in London bietet Exquisites aus aller Welt und ist für Patricia Schäfer so cool wie der Prenzlauer Berg in Berlin zu seinen besten Zeiten.
Von unserem Redaktionsmitglied Jürgen Höpfl
 |  aktualisiert: 31.07.2012 10:36 Uhr

Gleich bei ihrem allerersten Feierabend-Ankunftsbierchen in der neuen Umgebung sprach Hugh Grant die telegene Fremde an: „Don't I know you from somewhere?“, wie originell – in „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ wäre er damit glatt durchgefallen. „Er fragte mich doch allen Ernstes, ob er mich nicht von irgendwoher kennen würde“, lacht Patricia Schäfer immer noch über ihr Londoner Einstandserlebnis, „und dabei wäre solch eine Frage bei diesem berühmten Schauspieler ja wohl eher mein Part gewesen“. Derweil war der Neuzugang aus Germany dank einer solch prominenten Begrüßung in einem ganz gewöhnlichen Pub gleich angemessen angekommen in Großbritanniens lebhafter Metropole.

Seit November 2010 ist die Würzburgerin dort mittlerweile als Korrespondentin tätig, nachdem sie zwölf Jahre lang als Moderatorin das Gesicht des „ZDF-Morgenmagazins“ aus Berlin gewesen war. Ihr neues Studio liegt am Big Ben, in bester und beneidenswerter Hauptstadtlage also, die Royal-Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton in der berühmten Westminster Abbey nebendran war einer ihrer ganz speziellen Arbeitseinsätze: „Ich freue mich total darüber, dass man mir als Moderatorin die spannende Rolle einer Korrespondentin zugetraut hat“, sagt sie: „Für jeden Fernsehjournalisten ist solch ein Korrespondenten-Job ein Traum. Es hätte zwar auch Istanbul oder Rom werden können. Doch wenn sich die Stelle dann noch in London befindet, mit der Queen und der Monarchie und den vielen Filmpremieren und den ganzen exzentrischen Leuten hier, ist es noch unschlagbarer!“

Patricia Schäfer liebt diese Stadt, kein Zweifel. Und natürlich sind wir nun am Big Ben verabredet, dem Glockenturm des Parlamentspalastes, um ihre Lieblingsstellen in der Stadt zu erkunden – mag es wegen des vor-olympischen Trubels auch noch so hektisch zugehen in den „Streets of London“, wegen der Menge an einfliegenden jungen Menschen sogar eine Spur hektischer als sonst am Puls einer unglaublichen, irren, ruhelosen Stadt. Die roten Doppeldeckerbusse ziehen noch etwas dominanter ihre Bahn, Banker und Touristen hasten noch etwas eiliger umher, Motorräder dröhnen, Autofahrer hupen im steten Stau der City.

Trotzdem, oder vielleicht auch deswegen, gehen die Sommerspiele der XXX. Olympiade, wie sie korrekt heißen, eigentlich bisher fast ein wenig unter im dynamischen Treiben der mit mindestens 7,5 Millionen Einwohnern größten Siedlung Westeuropas. London bräuchte die olympische Familie nicht für sein Wohl, nutzt aber ihr Dasein für ersehnte Verbesserungen seiner Infrastruktur, doch ob die olympische Familie London gebrauchen kann, muss sich zeigen.

Der drohende Verkehrskollaps ist vorerst das Hauptthema vor Ort. U-Bahn-Fahrer drohen mit Streik, Taxifahrer erregen sich darüber, dass für den olympischen Zusatzverkehr separate „olympic lanes“ abgesperrt wurden, eigene Fahrspuren für die Shuttles und Busse und Fahrzeuge der Funktionäre und Sponsoren, Trainer, Sportler und Reporter. Derartige olympic lanes gab es zwar in allen Gastgeberstädten. „Aber die Engländer mögen Extrawürste generell nicht und solche Extrawürste erst recht nicht“, sagt Patricia Schäfer: „Weniger als andere Nationen gewähren sie Olympia einen eigenen Spielraum. Für die Briten ist Fairness ein hohes Gut. Wer sich selbst zu wichtig nimmt, macht sich unbeliebt. Mehr als andere sagen sie 'Es reicht!‘, wenn die olympischen Gäste die Gleichbehandlung zu sehr übertreten. Die vorhandene Gastfreundlichkeit bedeutet hier nicht, eigene Nachteile zu erdulden.“

In der St. Stephen's Tavern, einem netten Pub an einem Eckchen der Bridge Street, wo man freien Dauerblick auf Londons Wahrzeichen genießt und die schweren Glockenschläge nach einer Melodie von Georg Friedrich Händel des Big Ben zum Gerstensaft zu Gehör bekommt, ist viel zu sehen vom mächtigen Drumherum, aber wenig zu spüren vom olympischen Geist. Der herrscht irgendwo im tiefen Osten der Metropole, nicht hier im historisch edleren, kommoderen Westen. Das Pint – ein guter halber Liter Gebräu aus Frankreich, Belgien, Holland oder Italien – kostet lediglich 3,80 Pfund, umgerechnet 4,50 Euro: Das ist wenig in solch zentraler Lage und entspricht noch weniger dem gängigen Vorurteil über die zu befürchtenden Preise. Die Männer tragen Schottenröcke und Krawatten oder andere Berufstracht, typische Touristentypen in den typischen kurzen Touristenhosen gibt es auch, ein chinesisches Fernsehteam interviewt die drinnen und draußen Stehenden und Plappernden, was sie hier sonst in den kommenden Tagen und Wochen bitteschön noch zu tun gedenken. Easy livin' irgendwie.

Auf einmal gesellt sich Kioskbesitzer Björn zu uns und erklärt, dass er pünktlich zur Eröffnungsfeier am Freitagabend seinen „News Stand“ ums Eck bis zur Abschlussfeier geschlossen hat, weil ihm die Bürokratie der Stadtverwaltung mit zig besonderen Auflagen und auch Vorschriften während der zwei Olympiawochen auf die Nerven geht: „Da verdiene ich lieber etwas weniger und ärgere mich nicht mit denen herum.“ Hoppla, südeuropäische Verweigerungshaltung auf der britischen Insel? „Ach, das ganze negative Drumherumgerede und Abtun der Spiele im Vorfeld, das dürfen Sie nicht überbewerten“, sagt Patricia Schäfer: „Wenn der Startschuss gefallen ist und vielleicht noch ein eigener Athlet seine erste Goldmedaille geholt hat, dann stehen die Briten wie eine Eins hinter der Veranstaltung! Dann kennen sie vor lauter Begeisterung wahrscheinlich kein Halten mehr!“ An Liebe zum Sport kann es gewiss nicht mangeln in einer Stadt, die sechs Fußball-Erstligisten beherbergt (Arsenal, Chelsea, Tottenham, Fulham, Queens Park Rangers und West Ham United) und jedes Jahr das berühmteste Tennisturnier der Welt veranstaltet. Auch die Würzburger Fernsehfrau ist gerne hier in der studio- und volksnahen St. Stephen's Tavern – und geht gerne unter Leute, nicht nur wenn Hugh Grant unter ihnen weilt. „Ich bin ein echter Foodie und liebe gutes Essen“, sagt sie: „Für ein gut gemachtes Pilzrisotto lasse ich etliches stehen.“

Der „Broadway Market“ samstags in Hackney ist ihr persönlicher Tipp fürs besondere Einkaufsfeeling, vor allem für exquisite Lebensmittel aus aller Welt: „Da finden Sie alles und fühlen sich gleichzeitig so cool wie am Prenzlauer Berg in dessen besten Zeiten. Toll, ich mag das! Und das ganze Geschehen ist längst nicht so rummelig wie bei den deutlich bekannteren Märkten in Camden oder an der Portobello Road, die man sich aber dennoch zum Stöbern ansehen kann.“

Der Vergleich mit dem Prenzlauer Berg in Berlin ergibt bei London auf eigentümliche Weise eine Logik, wenngleich nicht politisch, sondern aus dem unkontrollierten Städtewachstum herrührend: Denn wie die deutsche Hauptstadt kennt auch Großbritanniens Kapitale einen West-Ost-Konflikt. „Sie können fast einen diagonalen Strich durch den Stadtplan ziehen“, sagt Patricia Schäfer und deutet die Linie auf der „City Map“ an, von „King's Cross“ die Themse gen Südwesten hinab. Links ist der Wohlstand zu Hause, das gesittete London in Gegenden wie Kensington, Notting Hill oder Wimbledon. Rechts davon beginnt dagegen das Problem, gibt es soziales Gefälle – und viele Versäumnisse aufzuarbeiten. Es ist kein Zufall, dass sich das Londoner U-Bahn-Netz nördlich des Flusses ballt und den Süden deutlich mäßiger bedient – während die eine Richtung munter ihren Wohlstand mehrte, traf die andere Gegend der marode Abstieg in die Untiefen der Industriebrache.

Olympia ist insofern auch ein wirtschaftlich strammes Projekt, um dem Osten mit Kraft und Power voranzuhelfen: Das „Stratford“-Viertel, in dem der weitläufige Olympiapark seinen Platz fand, war mal nahezu ein Elendsgebiet und soll nun auch nach den Spielen neu und nach grünen Maßstäben frisch und ansehnlich erblühen, wie es die „Docklands“ bereits tun. London poliert die heruntergekommenen, kaum mehr benötigten Binnenhafenanlagen glänzend auf. Wo früher Güterschiffe be- und entladen wurden und das Flusswasser trübe stank, boomt jetzt die Wirtschafts- und Medienwelt, entstehen kühnste Architekturprojekte.

Patricia Schäfer selbst, so viel sei verraten, hat sich in Maida Vale im schmucken Nordwesten Londons niedergelassen, wo der durch Agatha Christie verewigte „16.50 Uhr ab Paddington“-Bahnhof steht. Sie schätzt aber im Kontrast dazu den Reiz des aufblühenden Südens und Ostens der Olympia-Stadt 2012. Und vom Lebensgefühl bevorzugt sie die Mitte dazwischen: die Themse. „Spazierengehen an den Kanälen von Little Venice oder entlang der Themse, ist für mich das mit Abstand Schönste!“ Promenieren am Fluss in einer Metropole im Fluss – da muss einem fürwahr nicht jeden Abend ein Hugh Grant über den Weg laufen.

Patricia Schäfer

Patricia Schäfer ist eine 1968 im Zeichen des Steinbocks geborene Würzburgerin. Nach dem Volontariat zur Radioredakteurin studierte sie Stationen in Nürnberg, Massachusetts/USA, Rom und Berlin, ehe sie zum Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) wechselte: Nach zwölf Jahren Moderatorin des ZDF-Morgenmagazins wechselte sie ab November 2010 kurzerhand ins Studio London, von wo sie als ZDF-Korrespondentin aus Großbritannien berichtet.

Mitternacht vor Big Ben: Autor Jürgen Höpfl mit Patricia Schäfer.
Foto: C. Fischer | Mitternacht vor Big Ben: Autor Jürgen Höpfl mit Patricia Schäfer.
 
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