Günther Oettinger ist in der Brüsseler EU-Kommission eigentlich für die digitale Wirtschaft zuständig. Doch seit Wochen macht der 60-jährige CDU-Politiker und frühere baden-württembergische Ministerpräsident ganz andere Schlagzeilen. Erst verunglückte eine Rede vor Hamburger Unternehmen, als sich der Schwabe auf provokante Weise über Schlitzaugen, Homo-Ehe und Frauenquote ausließ. Seit Mittwoch muss er sich nun noch mit einer Flug-Affäre herumschlagen.
Im Mai dieses Jahres sollte Oettinger in Budapest eine Konferenz zur Zukunft des Straßenverkehres besuchen. Doch am Tag vorher ereilte ihn noch eine Einladung zu einem Abendessen mit Ungarns Premierminister Viktor Orbán. Um diese Verabredung nach einem letzten Brüsseler Termin, der bis 18 Uhr gedauert haben soll, zu schaffen, akzeptierte der EU-Kommissar ein Angebot seines Freundes und früheren Daimler-Managers Klaus Mangold, ihn in seinem Charterflugzeug mit nach Budapest zu nehmen.
Kritiker vermuten Verstoß gegen Ethikregeln
Mangold ist, sozusagen im Nebenamt, zugleich Russlands Honorarkonsul in Baden-Württemberg, die beiden kennen sich gut. Der Flug holt Oettinger nun wieder ein. Zum einen, weil Begünstigungen die vorgeschriebene Grenze in Höhe von von 150 Euro nicht übersteigen dürfen, bis zu der Kommissare Geschenke annehmen können. Zum anderen brachte ihn die Konstellation Mangold und Orbán in Erklärungsnöte.
Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, argwöhnte nämlich sofort, Oettinger habe bei der Gelegenheit auch über einen Auftrag Ungarns an den russischen Staatskonzern Rosatom über die Lieferung zweier neuer Meiler für das Kernkraftwerk PAKS II in Ungarn gesprochen. Oettinger entgegnete per Twitter: „Ich habe über PAKS nicht gesprochen.“
Die Affäre entpuppt sich als zumindest peinlich, wenn nicht gar schädlich, weil sie alle jene auf den Plan ruft, die dem CDU-Politiker und Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut eine allzu große Nähe zu Unternehmen unterstellen.
Bei Transparency International hieß es, es gebe eine „klare Regel, dass Kommissare keine teuren Einladungen oder Geschenke von Privatleuten annehmen dürfen“. Mehr noch: „Herr Oettinger hätte Herrn Mangold laut aktuellen Regeln gar nicht treffen dürfen – ob an Bord eines Privatjets oder am Boden.“ Der Grund: Moskaus Statthalter in Baden-Württemberg ist nicht offiziell als Lobbyist registriert. Oettingers Erklärungen, so heißt es weiter, seien im Übrigen sehr zweifelhaft.
Zum einen habe es am fraglichen Abend durchaus noch Linienflugverbindungen von Brüssel nach Budapest gegeben, die er hätte nutzen können. Zum anderen stünden dem Spitzenpersonal der EU-Institutionen seit 2015 Charterflugzeuge für außerplanmäßige Reisen zur Verfügung. Oettinger wäre also auch ohne den Freundesdienst pünktlich in Budapest gewesen.
„Günthers Mini-Davos“ in Lech am Arlberg
Dass der EU-Kommissar, der ab Jahresanfang für den Haushalt der EU zuständig ist, beschädigt wird, scheint dennoch unwahrscheinlich. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat ihm zwar nach seiner Aufsehen erregenden Rede auferlegt, sich künftig nur noch zum eigenen Dossier zu äußern. Aber die neue Affäre nährt den Eindruck zu großer Verbundenheit Oettingers mit Unternehmen.
Erst vor einigen Monaten wurde enthüllt, dass sich der Kommissar einmal im Jahr im österreichischen Lech am Arlberg in einem Luxushotel mit Spitzen der europäischen Wirtschaft wie den Chefs von Vodafone, Telefónica und British Telecom getroffen habe, um sich zwei Tage lang ungestört bei Sauna, Skifahren und erlesenem Essen auszutauschen.
Die „Veranstaltung“ gilt in Anspielung auf den jährlichen Wirtschaftsgipfel als „Günthers Mini-Davos“. „Dies alles macht nicht den Eindruck, dass hier die notwendige professionelle Distanz eines EU-Kommissars beachtet wird“, sagte ein führendes Mitglied des Parlaments. Oettinger selbst gab sich alle Mühe, den Flug nach Budapest als Bestandteil seines Jobs darzustellen.