Rund 6,4 Millionen Österreicher wählen am 15. Oktober nach dem Bruch der rot-schwarzen Koalition vorzeitig ein neues Parlament. In den Umfragen ist der 31-jährige Außenminister und ÖVP-Chef Sebastian Kurz Favorit vor SPÖ-Kanzler Christian Kern. Die SPÖ will diesmal in die Opposition gehen, wenn sie nur zweitstärkste Partei wird. Doch Politikexperte Fritz Plasser meint aber, dass das Rennen noch offen ist, und erklärt die Unterschiede zum deutschen Wahlkampf.
Fritz Plasser: Sebastian Kurz bestimmt seit einigen Monaten die Themen und repräsentiert eine Aufbruchsstimmung. Den Wunsch nach Veränderung und einem neuen politischen Stil. So entsteht der Eindruck einer Aufholjagd für Christian Kern. Verschiedene Umfragen zeigen seit Monaten unverändert einen deutlichen Rückstand der Kanzlerpartei SPÖ. Von dem sogenannten Kanzlerbonus kann keine Rede sein. In vielen Umfragen liegt Kurz auch bei der Kanzlerdirektwahl-Frage knapp vor Kern oder gleichauf. Für österreichische Wahlkämpfe ist es völlig neu, dass der amtierende Bundeskanzler keinen Kanzlerbonus in der öffentlichen Meinung hat.
Plasser: Kurz hat bisher in öffentlichen Auftritten eine gute Figur gemacht. Man glaubt ihm, dass er etwas verändern möchte. Der Bundeskanzler tritt inzwischen als der auf, der stärker den Status quo bewahren möchte. Noch im Frühjahr hatte Kanzler Christian Kern nach der Vorstellung seines „Plan A“ das Image, Veränderung und Reformen zu wollen. Das hat man ihm auch geglaubt. Doch durch den Personalwechsel an der Spitze der ÖVP von Reinhold Mitterlehner zu Sebastian Kurz hat sich die Ausgangssituation völlig verändert. Das mag sich in den kommenden Wochen vor der Wahl am 15. Oktober noch ändern.
Plasser: In Deutschland kann man sagen, der Wahlsieg von Angela Merkel ist nicht gefährdet. In Österreich würde ich das für Sebastian Kurz nicht sagen. Es kann noch knapper werden. Die TV-Konfrontationen spielen eine wichtige Rolle. In der Woche vor der Wahl werden etwa zwei Millionen Menschen die Elefantenrunde sehen. Vermutlich sind dann noch zehn bis zwölf Prozent der Wähler unentschlossen. Der Vorsprung von Sebastian Kurz und der ÖVP könnte sich verringern, wenn es Kern mit souveränem und offensivem Auftreten gelingt, Kurz in die Defensive zu drängen.
Plasser: In Österreich ist der Wahlkampf härter, emotionaler und aggressiver als in Deutschland, wo Angela Merkel und Martin Schulz auch im TV-Duell noch höflich und wertschätzend miteinander umgegangen sind. Beide haben sich rollengemäß verhalten und es blieb keine Bitternis übrig. Das steht in starkem Kontrast zur Diskussionskultur und Wahlkampfführung in Österreich.
Plasser: Es gibt zwei unterschiedliche Konzepte. Kern und die SPÖ möchten den 15. Oktober zu einem Referendum über mehr soziale Gerechtigkeit machen. Dabei schwingt der Vorwurf mit, Kurz werde nicht zögern, bei sozial Schwächeren einzusparen. Umgekehrt haben Kurz und die ÖVP eindeutige Kompetenzvorsprünge vor der SPÖ in der der Frage der Migrations- und Integrationspolitik. Ich kann noch nicht sagen, wer in den kommenden Wochen die Themen bestimmt. Denn den angekündigten dritten Teil von Kurz? Wahlprogramm kennen wir noch nicht. Damit könnte er die Themenführerschaft bekommen.
Plasser: Wenn die SPÖ am Ende tatsächlich hinter die ÖVP fällt, könnte sich zeigen, dass Kern im Frühjahr einen entscheidenden strategischen Fehler gemacht hat. Damals stand die Koalition einige Tage lang fast vor dem Auseinanderbrechen. Die SPÖ drohte mit Neuwahlen und auch die ÖVP zeigte deutliche Zweifel. Die Abneigungen bis hin zu persönlichen Animositäten waren weit fortgeschritten. Doch im letzten Moment hat die SPÖ wieder versucht, eine Gesprächsbasis herzustellen. Die Sorge, dass derjenige, der eine Koalition bricht, nicht von den Wählern dafür belohnt wird, muss Kern damals bewogen haben, nicht in Neuwahlen zu gehen. Wäre Kern jedoch damals dazu bereit gewesen, wäre sein Herausforderer Mitterlehner gewesen. Kern hätte den Vorteil des Kanzlerbonus voll ausspielen können. Zwei Monate später wurden mit dem überraschenden Rücktritt von Mitterlehner die Weichen für Kurz gestellt. Das veränderte mit einem Schlag die strategische Position beider Parteien. Plötzlich war die ÖVP in der Offensive und stieg in Umfragen von 23 auf 33 Prozent. Eine so rasche, so deutliche Veränderung in Umfragen durch einen Personalwechsel habe ich noch nie gesehen.
Plasser: Wunsch nach Veränderung heißt nicht, dass sich das hohe Interesse an sozialer Stabilität und sozialstaatlicher Absicherung geändert hätte. Die Unzufriedenheit mit der Arbeit der großen Koalition ist sehr hoch gewesen, nur noch 20 bis 25 Prozent waren in den vergangenen zwei bis drei Jahren mit der Arbeit der Großen Koalition zufrieden.
Plasser: Die FPÖ wird mit einem Ergebnis, das um drei bis vier Prozent über dem von 2013 liegt, mit hoher Wahrscheinlichkeit nur den dritten Platz einnehmen. Mein Eindruck ist, dass sich die FPÖ und Heinz Christian Strache damit längst abgefunden haben. Sie führen bislang einen für die FPÖ vergleichsweise moderaten Wahlkampf, damit Strache sich als ministrabel präsentieren kann und die FPÖ in die Regierung kommt.
Der 69-jährige Innsbrucker Politikprofessor Fritz Plasser zählt nicht zuletzt durch seine zahlreichen TV-Auftritte zu den bekanntesten Politikexperten Österreichs. Foto: Orf/dpa