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Österreich will Reform der EU vorantreiben
ÖVP-FPÖ-Bündnis in Österreich       -  ÖVP-Obmann Sebastian Kurz (Mitte) und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache (rechts) beim österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen in der Hofburg
Foto: Hans Punz, dpa | ÖVP-Obmann Sebastian Kurz (Mitte) und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache (rechts) beim österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen in der Hofburg
Mariele Schulze-Berndt
 |  aktualisiert: 25.12.2017 03:05 Uhr

Die Schlacht am Kahlenberg 1683 verhinderte, dass Wien Teil des Osmanischen Reiches wurde. Das polnische Heer eilte damals zu Hilfe. Dass die neue österreichische Regierungskoalition dort am Samstag ihr Programm vorgestellt hat, hatte trotzdem einen anderen Grund. Fernab der Stadt waren kaum Demonstrationen zu erwarten. Für den Montag als Tag der Vereidigung haben sechs Organisationen bereits Proteste gegen die neue Regierung angekündigt.

Zwei Monate nach der Wahl hatten sich die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Freiheitliche Partei (FPÖ) zuvor auf einen türkisblauen Koalitionsvertrag geeinigt. „Wir sind froh, dass wir diese Einigung zustande gebracht haben“, sagte der künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz. „Alles Liebe“ wünschte FPÖ-Chef und künftiger Vizekanzler Heinz-Christian Strache dem 31-Jährigen und bekannte, es sei auch „Demut“ nötig gewesen, um die Kompromisse eingehen zu können.

Strache betonte bei der Programmvorstellung am Samstag mehrfach, dass die Chemie zwischen ihnen stimme und es sich bei Kurz um eine Persönlichkeit mit menschlichen Qualitäten handele. Strache wirkte nervös, Kurz dagegen gewohnt professionell. Doch die FPÖ-Freunde in den hinteren Reihen der Pressekonferenz konnten ihre Freude über die Zukunft als Regierungspartei kaum zügeln.

Sebastian Kurz hat für die ÖVP-Mitglieder der Regierung vor allem Experten ausgesucht. Von den vier Männern und drei Frauen hat nur Gernot Blümel als Kanzleramtsminister eine lupenreine Parteikarriere hinter sich. Er soll 2020 als Bürgermeisterkandidat in den Kampf um das rote Wien ziehen. Die anderen Minister sind Experten.

Die EU-Themen hat Kurz an sich gezogen. In der zweiten Jahreshälfte 2018 hat Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne und will dann Reformen nach dem Motto „weniger EU, aber effizienter“ vorantreiben. Die Migration in die EU soll gestoppt werden. Die Verteilung der Flüchtlinge im Sinne von Ungarns Viktor Orban ohne Quoten neu geregelt werden. Kurz will sich für einen „europäischen Subsidiaritätspakt“ einsetzen.

Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen zugunsten eines „Europäisch-Türkischen Nachbarschaftskonzeptes“ eingestellt werden. Außerdem will Österreich seinen Beitrag zu EU-Auslandseinsätzen auf den EU-Außengrenzschutz, Westbalkan, Nordafrika und Migrationsrouten konzentrieren.

Der Ausbau der direkten Demokratie wird erst mittelfristig angestrebt. Eine Abstimmung über den Austritt aus der EU wird abgelehnt. Die Senkung der Unterstützung für Flüchtlinge und Arbeitslose könnte auch auf Deutschland ausstrahlen. Flüchtlinge bekommen in Zukunft vermehrt Sachleistungen und müssen zentral untergebracht werden.

Wenn sie einen Antrag auf Asyl stellen, wird ihr Bargeld eingezogen, um damit die Grundversorgungskosten zu decken. Anerkannte Flüchtlinge sollen nur noch 365 Euro im Monat bekommen, plus gegebenenfalls 150 Euro Prämie bei besonderer Integrationsleistung.

Insgesamt wird die Sozialhilfe auf 1500 Euro pro Haushalt beschränkt. Berechtigt sind nur Menschen, die bereits in fünf der vergangenen sechs Jahre in Österreich gelebt haben. Arbeitslose EU-Bürger und Drittstaatsangehörige sollen sich nach einem Jahr in ihrem Herkunftsland eine Stelle suchen müssen. Außerdem werden die Zumutbarkeitsregeln für den Antritt einer neuen Stelle verschärft. Dies kann natürlich auch die mehreren Hunderttausend Deutschen treffen, die in Österreich leben.

Auch die Studiengebühren, die eingeführt werden sollen, zahlen auch Ausländer. Wer in Österreich arbeitet, soll sie im Berufsleben von der Steuer absetzen können. Ebenfalls als Steuervorteil präsentiert sich die zusätzliche Familienförderung von 1500 Euro pro Kind. Rentner sollen dagegen eine Mindestpension in Höhe von 1200 Euro bei 40 Beitragsjahren bekommen. Insgesamt will die neue Regierung die Wirtschaft durch Deregulierung und Entbürokratisierung entlasten. Der Minister für Justiz und Staatsreform, Josef Moser, soll dazu beitragen. Er hat sich als früherer Rechnungshofspräsident einen Namen als Verfechter einer Föderalismus-Reform gemacht.

Der künftige Kanzler Kurz hatte mit dem FPÖ-Urthema Zuwanderung die Wahl gewonnen. Mit der Besetzung des Innen-, des Außen-, des Verteidigungs- und des Sozialministeriums holt sich die FPÖ jetzt die Zuständigkeiten für dieses Thema zurück. Dann liegen in Zukunft von der Polizei bis zu den Geheim- und Nachrichtendiensten alle Sicherheitsbereiche in der Verantwortung der Rechtspopulisten. Das Pikante dabei: Nach wie vor besteht seitens der FPÖ ein Partnerschaftsvertrag mit Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“.

In einer Sache konnte sich die FPÖ allerdings nicht durchsetzen. Noch vor Donald Trump hatte der künftige Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Sommer in einem Brief an Israels Premier Benjamin Netanjahu versprochen, alles in seiner Macht stehende zu tun, die österreichische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Das wird so aber nicht kommen.

 
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