Dass US-Präsident Barack Obama ein vorsichtiger Politiker ist, hat sich herumgesprochen. Schnellschüsse sind ihm zuwider, vielmehr lässt er mit der Akribie eines Akademikers im Kreis seiner Berater Pro und Kontra abwägen, bevor er Entscheidungen trifft. In dem Sinne ist er tatsächlich der Anti-Bush, das Kontrastprogramm zu seinem Vorgänger, der burschikos von sich sagte, er sei „der Entscheider“. Sein Markenzeichen ist die Gründlichkeit eines versierten Juristen, gepaart mit der Nüchternheit eines Realpolitikers, der genau weiß, dass auch die Supermacht USA schnell an ihre Grenzen stößt, wenn sie versucht, die Weltgeschicke zu lenken.
Obamas Langsamkeit und die Turbulenzen an Euphrat und Tigris – der Widerspruch ist zum Thema geworden in Washington, seit die Glaubensfanatiker des Islamischen Staats (IS) den Nahen Osten vollends aus den Angeln zu heben drohen. Und seit Obama in zwei Sätzen, die ihm manche als schlimme Ausrutscher auslegen, schonungslos offen die Wahrheit sagte. „Ich will den Karren nicht vor das Pferd spannen. Wir haben noch keine Strategie“, versuchte er, die Erwartungshaltung zu dämpfen. Über Nacht, wollte er damit signalisieren, wird die Air Force ihre Angriffe auf die IS-Rebellen nicht auf das Bürgerkriegsland Syrien ausdehnen. Sein Kabinett müsse erst die Folgen durchdenken.
Entschlossenes Handeln gefordert
Republikanische Falken wie John McCain sprechen von der gefährlichen Attitüde eines ewigen Zauderers und fordern entschlossenes Handeln. Neuerdings stimmen auch Demokraten ein in den Chor, etwa Dianne Feinstein, die Senatorin aus Kalifornien, die Obama bisher fast immer die Stange hielt. „Wenn ich eines gelernt habe über diesen Präsidenten, dann, dass er sehr bedachtsam ist. In diesem Fall vielleicht zu bedachtsam“, sagt Feinstein.
Klar ist, dass die radikalislamische Miliz das Oval Office noch lange beschäftigen wird. Klar ist auch, dass keiner der Kritiker eine schnelle Lösung parat hat, jedenfalls keine, die er guten Gewissens präsentieren könnte. Zum einen richten Luftschläge allein wenig aus gegen eine gut ausgerüstete Guerilla. Der Einsatz amerikanischer Bodentruppen aber scheint ausgeschlossen. Sie nicht noch einmal in den nahöstlichen Treibsand zu beordern, dieser Ansatz gehört nicht nur zu den konstantesten Konstanten Obama’scher Außenpolitik, er findet auch in der Öffentlichkeit überdeutliche Mehrheiten.
Zum anderen skizziert der Generalstabschef der US-Streitkräfte, was für Stückwerk eine nur auf den Irak beschränkte Luftoffensive gegen IS militärisch bedeutet. Auf die Frage, ob man die apokalyptische Vision der Hassprediger wohl besiegen könne, wenn man sie in ihren syrischen Hochburgen in Ruhe lasse, sagt Martin Dempsey: „Die Antwort ist nein.“
Breite Allianz als beste Lösung
Nur hat Obama nie einen Hehl aus seiner Skepsis gemacht. Nach seiner Einschätzung gibt es in Syrien – außer den Eliteeinheiten des Autokraten Baschar al-Assad – keine bewaffnete Kraft, die es mit IS aufnehmen kann. Die politisch moderate Oppositionsmiliz existiert weitgehend auf dem Papier oder im Exil, nicht aber am Euphrat, wo die Fanatiker ihr Kalifat aufbauen. In der Folge, fürchtet Obama, müsste die US-Armee vielleicht doch irgendwann die Kastanien aus dem syrischen Feuer holen, falls man nicht Alternativen ansteuert: Internationale Koalitionen. Als beste Variante unter vielen Notlösungen gilt eine breite Allianz, wie sie George Bush vor dem Golfkrieg 1991 gezimmert hatte.
Bush Senior mit seiner Geduld: Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendeiner aus der Obama-Riege erinnert an das Vorbild jener Koalition, mit der Saddam Hussein aus dem besetzten Kuwait hinausgezwungen wurde. Im Ringen mit IS, schrieb Außenminister John Kerry in der „New York Times“, „kann fast jedes Land eine Rolle spielen“. Im Klartext heißt das, neben den Europäern, neben der Türkei, Saudi-Arabien und Jordanien sind auch Staaten gemeint, die an der Pennsylvania Avenue nicht auf der Partnerliste stehen. 1990/91 war es Syrien, der plötzlich salonfähig gewordene Paria. 2014 ist es der Iran.
Angriffe auf IS-Milizen
Irakische und kurdische Truppen haben ihre Offensiven gegen Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Nordirak fortgesetzt. Mehrere Orte konnten zurückerobert werden. In der am Sonntag aus zweimonatiger IS-Belagerung befreiten Stadt Amerli ist die Lage kritisch: Hunderte Familien leiden Hunger, viele Menschen sind erkrankt. In Syrien lieferten sich nach Angaben von Menschenrechtlern Soldaten des Regimes von Baschar al-Assad Kämpfe mit islamistischen Milizen auf den Golanhöhen. Unklar blieb dort zunächst das Schicksal der 44 von Islamisten gefangenen UN-Soldaten. Peschmerga-Milizen und irakisches Militär waren am Wochenende an mehreren Fronten nördlich von Bagdad sowie im Umland von Mossul gegen IS-Stellungen vorgerückt. Nach Angaben der unabhängigen irakischen Nachrichtenseite „Al-Sumaria News“ eroberten Soldaten am Montag die Ortschaft Sulaiman Bek rund 160 Kilometer nördlich von Bagdad. Dabei wurden Berichten zufolge ein wichtiger IS-Anführer getötet und 36 weitere Kämpfer gefangen genommen. Zuvor hatten kurdische und irakische Truppen am Sonntag die nahe Sulaiman Bek gelegene Stadt Amerli befreit. IS-Extremisten hatten die Stadt insgesamt zwei Monate lang belagert. Nach Angaben des irakischen Staatssenders Al-Irakija wurden mindestens 100 IS-Kämpfer getötet. Text: dpa