
Barack Obama zieht eine „Rote Linie“: Offen wie nie zuvor drohen die USA mit einer Militäraktion in Syrien, falls dessen Massenvernichtungswaffen zur Gefahr für Israel werden. „Wir dürfen nicht in die Situation kommen, dass chemische oder biologische Waffen in die falschen Hände fallen“, sagte Obama mit Blick auf die chaotischen Verhältnisse in Syrien. Damaskus tat die Aussagen laut Staatsagentur Sana als Wahlkampfgeschwätz ab – und verwies auf die Atomwaffen, mit denen Israel die Region bedrohe. Russland, enger Partner des syrischen Regimes, warnte die USA vor einem Alleingang.
Das Thema gehe nicht nur Syrien an, sagte Obama in Washington. „Es betrifft unsere engen Verbündeten in der Region, darunter Israel. Es betrifft uns.“ Bisher habe er keine Intervention angeordnet. Aber die USA hätten Präsident Baschar al-Assad und „jedem Spieler in der Region“ unmissverständlich klargemacht, „dass es enorme Konsequenzen hätte, wenn wir an der Chemiewaffenfront Bewegung oder den Einsatz chemischer Waffen sehen“.
„Rote Linie“ und „Casus Belli“
Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte „alle Kräfte in Syrien und insbesondere das Assad-Regime auf, hier nicht mit dem Feuer zu spielen“: „Wir müssen alles dafür tun, damit dieses Szenario nicht eintritt und die Chemiewaffen nicht in falsche Hände geraten.“ Aus Moskau hieß es, Russland lege viel Wert darauf, dass internationales Recht und die Charta der Vereinten Nationen nicht verletzt würden. „Das ist überaus wichtig“, sagte Außenminister Sergej Lawrow.
Israel hatte schon vor Wochen die Befürchtung geäußert, die syrischen Massenvernichtungswaffen könnten in den Bürgerkriegswirren in die Hände von Extremisten der islamistischen Hisbollah im Libanon geraten. Außenminister Avigdor Liebermann bezeichnete ein solches Szenario damals ebenfalls als „Rote Linie“ und „klaren Casus Belli“, also als Kriegsgrund. Der israelische Abwehr-Experte David Friedman vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) hält diese Drohung für durchaus ernst gemeint. Er rate allerdings seiner Regierung, den USA den Vortritt zu lassen, sagte er.
Warnung an Aufständische
Der US-Geheimdienst CIA schätzt, dass Syrien über mehrere hundert Liter chemischer Kampfstoffe verfügt, unter anderem über Senfgas, Tabun und das Nervengas Sarin – das größte Chemiewaffenarsenal im Nahen Osten. In ungekannter Offenheit hatte das Assad-Regime dies Mitte Juli eingeräumt, als weltweit die Angst wuchs, der bedrängte Machthaber könnte diese Waffen gegen die Aufständischen einsetzen. Schon damals warnte Obama Assad vor einem „tragischen Fehler“. Die Welt sehe genau hin und werde das Regime zur Verantwortung ziehen.
Die jetzigen Aussagen kommentierte die syrische Staatsagentur so: „Obama hat wieder einmal Angst vor irgendwelchen Waffen verbreitet, von denen man viel hört und über die viel gelogen wird. Dabei hat er Hunderte von atomaren Sprengköpfen vergessen, die Israel besitzt, und die eine Bedrohung für die Sicherheit der Region darstellen.“ Ein russischer Experte räumte ein, nicht ausschließen zu können, dass Syrien über Chemiewaffen aus russischer oder sowjetischer Produktion verfüge. Sein Land habe solche Waffen aber nie geliefert, so der stellvertretende Leiter der Behörde für Aufbewahrung und Zerstörung von Chemiewaffen, Wladimir Mandytsch.
In Syrien starben zwei ausländische Berichterstatter. In der umkämpften Metropole Aleppo wurde eine japanische Journalistin getötet, nach Medienberichten die preisgekrönte Mika Yamamoto (45), die zuvor aus Afghanistan und dem Irak berichtet hatte. Im selben Gefecht fielen nach Angaben von Assad-Gegnern ein türkischer Kameramann und ein palästinensischer Reporter Milizionären des Regimes in die Hände. Der Türke sei auf der Straße mit einen Kopfschuss getötet worden. Syrische Regimegegner berichteten außerdem, dass der berüchtigte Chef des Geheimdienstes der Luftwaffe, Dschamil Hassan, einem Anschlag zum Opfer gefallen sei.