Der Bericht ist fertig. Auf 141 eng bedruckten Seiten haben die Beamten des Bundesinnenministeriums und der 16 Länderinnenministerien insgesamt 2649 Hetzreden, Aufrufe, Propagandaartikel und andere Belege von mehr als 400 führenden NPD-Funktionären und einfachen Mitgliedern gesammelt, die belegen sollen, dass die rechtsextreme NPD die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv ablehnt und nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht.
Die Partei, die derzeit in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten ist, habe, heißt es zusammenfassend in dem Dossier, eine „antisemitische, rassistische und ausländerfeindliche Einstellung“ und sei mit dem Nationalsozialismus „wesensverwandt“.
Mit diesem Bericht der gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist neun Jahre nach dem Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens der Weg für einen zweiten Anlauf frei. Schon in dieser Woche könnte die Entscheidung fallen, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen neuen Antrag zu stellen. Am Mittwoch treffen sich die Innenminister des Bundes und der Länder in Rostock-Warnemünde, am Donnerstag tagen die Ministerpräsidenten der 16 Länder in Berlin. Im Kreise der Länder scheint es eine klare Mehrheit zu geben, das Verbotsverfahren in Gang zu bringen, notfalls auch alleine, also ohne Bundestag und Bundesregierung.
Gang nach Karlsruhe
Der federführende Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), plädiert offen für den Gang nach Karlsruhe. „Ich werde empfehlen, den Antrag zu stellen“, sagt er. „Wir haben gute Erfolgsaussichten.“ Dieser Ansicht schloss sich auch der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), sein CDU-Kollege Lorenz Caffier aus Mecklenburg-Vorpommern, in einem Brief an alle Amtskollegen „ausdrücklich“ an.
Für die Annahme des Antrags spricht, dass einer der Gegner eines Verbotsverfahrens, der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (ebenfalls CDU), seine bislang ablehnende Haltung aufgegeben hat und ebenfalls ins Lager der Befürworter gewechselt ist. Schünemann begründet seinen Schritt mit einem Rechtsgutachten, das er selber in Auftrag gegeben hat. Darin kamen die Autoren, der Vizepräsident des Sozialgerichts Karlsruhe, Franz Wilhelm Dollinger, und der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht Hans-Joachim Jentsch, zu dem Ergebnis, das Verbotsverfahren habe „hinreichende Erfolgsaussichten“. Die Ziele der NPD seien mit dem Grundgesetz unvereinbar, zudem habe die Partei gewalttätige Tendenzen.
Gleichwohl ist offen, ob sich auch die Bundesregierung dem Verbotsverfahren anschließt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der aus seiner skeptischen bis ablehnenden Haltung keinen Hehl macht, setzte nach einem Bericht des Magazins „Spiegel“ durch, dass die abschließende Bewertung des Bund-Länder-Dossiers zurückhaltend ausfiel. „Die künftige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht prognostizierbar.“ Die Entscheidung über ein Verbot sei „eine Frage der politischen Abwägung“.
Zudem forderte Friedrich die Länder auf, ihm die schriftliche Zusicherung zu geben, dass das Beweismaterial gegen die NPD ohne die Hilfe von V-Leuten des Verfassungsschutzes gesammelt wurde. Nach einem Bericht der „Welt am Sonntag“ lehnten dies allerdings mehrere Innenminister ab und wollten stattdessen nur die Präsidenten der Verfassungsschutz und Landeskriminalämter unterzeichnen lassen.
Geschichtliche Verantwortung
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich dagegen davon überzeugt, dass ein neues Verbotsverfahren nicht an den V-Leuten in der NPD scheitern wird. „Das Material ist anders als 2003 nicht durch Informationen von V-Leuten infiziert“, sagte er der „Welt“. An seiner Einstellung ließ er keinen Zweifel aufkommen: „Die NPD muss verboten werden. Das gebieten unsere geschichtliche Verantwortung und der Ruf Deutschlands in der Welt.“
Ein Verzicht auf ein Verbotsverfahren würde nach seiner Sicht „den Rechtsextremen enorme Schubkraft verleihen“. Er wolle, dass die NPD nicht länger aus Steuergeldern finanziert werde. „Und die Parteienfinanzierung lässt sich erst unterbinden, wenn diese Partei verboten ist.“