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PJÖNGJANG
Nordkorea testet waffenfähige Trägerrakete
Von unserem Korrespondenten Finn Mayer-Kuckuk
 |  aktualisiert: 24.05.2022 09:36 Uhr

Kim Jong-un verstärkt die nukleare Drohkulisse gegen seine zahlreichen Feinde. Nur wenige Wochen nach einem Atomtest hat der nordkoreanische Machthaber am Sonntag eine Trägerrakete für große Nutzlasten testen lassen. Vorgeblich ging es um den Start eines Satelliten, doch Experten zufolge ist auch eine militärische Anwendung möglich: als Interkontinentalrakete, die Bomben in andere Länder tragen kann. „Es handelt sich um ein epochales Ereignis in der Entwicklung der wissenschaftlichen, technischen und militärischen Fähigkeiten unseres Landes“, jubelte die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA.

Nordkorea hat es damit auf einen Schlag geschafft, China, Japan und die USA gleichzeitig gegen sich aufzubringen. Sämtliche Nachbarländer sowie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatten den Einsiedler-Staat mehrfach vor weiteren Raketentests gewarnt.

„Für Kim hat es Priorität, eine nukleare Drohkulisse aufzubauen.“
Narushige Michishita, Experte für Außenpolitik

Entsprechend einstimmig fiel die Kritik an dem Test aus. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, rief Nordkorea auf, die „provokanten Handlungen“ unverzüglich einzustellen. Die Uno stellte eine Sitzung des Weltsicherheitsrates in Aussicht, um über den Umgang mit der Situation zu beraten. Nordkorea hatte zuletzt im Jahr 2012 eine Interkontinentalrakete gestartet und schon damals Kritik des Sicherheitsrates auf sich gezogen.

Von mehr oder minder markigen Worten aus dem Ausland wird sich Nordkorea jedoch nicht ohne Weiteres von weiteren Tests abbringen lassen. Pjöngjang kündigte gleich am Sonntag bereits weitere „Satellitenstarts“ an. „Für Kim hat es Priorität, eine nukleare Drohkulisse aufzubauen“, sagt Außenpolitik-Experte Narushige Michishita vom National Graduate Institute for Policy Studies (Grips) in Tokio. „Er will seine Macht sichern, indem er seine Armee mit Bomben und den nötigen Trägersystemen ausstattet.

“ Es sei völlig klar, dass nicht die friedliche Nutzung des Weltraums, sondern die Demonstration des Angriffspotenzials hinter solchen Tests stecke.

Die Rakete vom Typ „Heller Stern“ hat am Sonntagmorgen um 9 Uhr Ortszeit vom Startgelände Sohae abgehoben. Das südkoreanische Militär bestätigte, dass ein Flugkörper die Erdatmosphäre verlassen habe. Japan berichtet, dass sich aus der Flugbahn der Rakete vier Objekte gelöst haben, die nach und nach ins ostchinesische Meer gestürzt seien – vermutlich ausgebrannte Raketenstufen. Ein fünftes Objekt habe seinen Weg jedoch über die Okinawa-Inselgruppe hinweg fortgesetzt. Nordkorea beansprucht einen vollen Erfolg des Starts: „Der Satellit befindet sich in einer stabilen Umlaufbahn“, teilte KCNA mit. Er umrunde die Erde wie geplant alle anderthalb Stunden in 500 Kilometern Höhe.

Experten trauen dem Raketentyp Unha-3 eine Reichweite von bis zu 9000 Kilometern zu, wenn er als Waffe eingesetzt wird. Damit kann Kim den Nordosten der USA ebenso mit einem Angriff bedrohen wie Westeuropa. Kim hat zudem genug spaltbares Material, um mehrere Atombomben zu bauen – möglicherweise verfügt er bereits über ein ansehnliches Arsenal. „Die Frage ist nun, wann die Bomben klein und leicht genug werden, um auf die Rakete zu passen“, sagt Michishita. Von diesem Moment an werde sich Japans Hauptstadt Tokio „in nuklearer Geiselhaft Nordkoreas“ befinden.

Entsprechend heftig fiel die Reaktion Tokios aus. Premier Shinzo Abe gab Anweisung, Möglichkeiten für weitere Sanktionen und Vergeltungsmaßnahmen zu prüfen. Pjöngjang habe eindeutig gegen Resolutionen des Sicherheitsrates verstoßen. Sein Land werde alles tun, um die USA und Südkorea für eine eindeutige Antwort auf diese Provokation zu gewinnen. Susan Rice, die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, nannte den Start eine „destabilisierende und provokative Aktion“, zumal er so kurz nach dem jüngsten Atomtest am 6. Januar komme.

Auch China zeigte sich verschnupft, hielt sich aber mit konkreten Forderungen zurück. Die Töne blieben fast sanft, obwohl die Provokation aus Sicht Pekings womöglich noch etwas größer ausfiel: In China steht am Montag mit dem Frühlingsfest der höchste Feiertag bevor. Nun muss die Führung sich mit dem unverfrorenen Verhalten des Nachbarn herumschlagen, statt mit ihren Familien zu feiern.

Peking mag am Weiterleben des zweiten kommunistischen Regimes in der Region gelegen sein – eine Atommacht, die Bomben auf jede chinesische Stadt abfeuern kann, ist jedoch höchst unerwünscht. „Der Start markiert eine negative Entwicklung und weckt Sorge“, ließ sich die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua vernehmen. Anders als Tokio fordert Peking aber keine weiteren Sanktionen, sondern Verhandlungen. China ist Nordkoreas größter Handelspartner.

Trotz der scharfen Töne aus Tokio und Washington ist nicht ganz klar, wie die konkrete Reaktion der Weltgemeinschaft auf die provokante Weiterentwicklung der nordkoreanischen Massenvernichtungswaffen aussehen soll. Ohne die Kooperation Chinas lässt sich Nordkorea im Handel kaum noch wehtun – eine ganze Reihe von Sanktionen ist bereits seit Jahren in Kraft. Einen bewaffneten Konflikt will gleichwohl niemand riskieren, zumal mit China und den USA zwei hochgerüstete Großmächte beteiligt sind. Der Sicherheitsrat kann Pjöngjang also lediglich mahnen und verurteilen.

 
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