Es ist das erste Mal, dass ein Gastgeberland Sportler aus einer Nation willkommen heißt, mit der sie sich offiziell im Krieg befindet. Die Olympischen Spiele in Pyeongchang bringen damit eine neue Wendung in einer Geschichte voller dramatischer Wendungen: der des geteilten Korea, das sich in der Praxis längst in zwei völlig verschiedene Länder auseinandergelebt hat.
Korea ist damit Opfer eines Konflikts der großen Mächte. Erst bemächtigten sich die Japaner des Landes, dann fand auf der koreanischen Halbinsel ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA auf der einen Seite und der Sowjetunion und China auf der anderen Seite statt. Das Territorium, das nur 60 Prozent der Größe Deutschlands ausmacht, wurde zum Schlachtfeld – und ist noch heute ein geopolitischer Brennpunkt.
Im Zweiten Weltkrieg kämpften die kommunistische Sowjetunion und das kapitalistische Amerika zunächst auf derselben Seite gegen den gemeinsamen Feind, Deutschland. Nach dem Krieg brachen die dadurch überdeckten Gegensätze sofort auf. Beide Machtblöcke strebten globale Dominanz an.
Korea war davor für 35 Jahre von der aufstrebenden Nation Japan kolonialisiert. Als sich die Japaner gegen Kriegsende zurückzogen, marschierten die Sowjets von Norden her in das befreite Korea ein, die Amerikaner von Süden. Zwei junge US-Offiziere im amerikanischen Hauptquartier erhielten die Aufgabe, eine Grenzlinie zu ziehen. In Eile zogen sie einen Bleistiftstrich quer durch eine Karte aus dem Magazin „National Geographic“. Er verlief entlang des 38. Breitengrads. Die Sowjets stimmten der Trennlinie zu. Korea war fortan in zwei Teile gespalten. Das war im August 1945. Der junge Kim Il Sung hatte bis dahin in China eine kommunistische Schulung erhalten, während er dort als Exilant gegen die Japaner kämpfte. Jetzt setzten die Sowjets ihn als Führer des sozialistischen Nordkorea ein. Kim baute nun dort eine Partei im stalinistischen Stil auf, die Arbeiterpartei. Gleich in den ersten Jahren legte er die Grundlagen für einen Personenkult, der später immer weiter ausarten sollte.
Die Sowjets hatten nicht damit gerechnet, wie schnell Kim auf eigene Gedanken kommen würde. Vermutlich ohne Rückendeckung aus Moskau, dafür mit dem Segen des chinesischen Staatschefs Mao Zedong, griff er im Jahr 1950 den Süden an, um seine Herrschaft auf das ganze Land auszudehnen. Die Amerikaner hatten inzwischen versucht, dort nach eigenen Vorstellungen eine Republik aufzubauen. Soldaten, die zuvor an mehreren Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs eingesetzt waren, beschrieben die Kämpfe als besonders brutal – und völlig sinnlos: Nach drei Jahren lag die Grenze fast genau da, wo die jungen Offiziere sie bereits gezogen hatten.
Die beiden Länder schlossen ein Waffenstillstandsabkommen. Das ist bis heute die einzige Basis für das Aussetzen der Kämpfe. Zwischen Nord- und Südkorea herrscht formal immer noch Krieg, auch nach 65 Jahren noch. Seitdem leben beide Seiten unter dem Eindruck waffenstarrender Armeen, die ihre Grenze belagern. Der Bedrohungszustand wurde zur koreanischen Normalität.
Ab 1990 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage Nordkoreas rapide, während Südkorea einen nie da gewesenen Aufschwung erlebte. Dem Norden fehlten die Handelspartner des Ostblocks, während Südkoreas Firmen nach einer politischen Liberalisierung zu weltweiten Technikführern aufstiegen. Südkorea wurde in Rekordzeit von einem Schwellenland zu einem voll entwickelten Industrieland, während die Menschen im Norden immer wieder Hunger litten.
Im Jahr 2006 erschütterte Diktator Kim Jong Il das Gleichgewicht der Kräfte. Er ließ eine Atombombe testen, die erste des Landes. Mit dem Ende der Sowjetunion hatte sein Königreich jede nukleare Rückendeckung verloren. Südkorea genoss dagegen weiterhin den Schutz der Großmacht USA. Jetzt hatte das Kim-Regime seine eigene Bombe.
Es folgte ein Muster, das sich bis heute wiederholt: auf Provokation folgt Entspannung und umgekehrt. 2007 verhandelte Kim ein Nuklearabkommen, das ein Ende von Sanktionen und Öllieferungen vorsah. Doch schon 2009 ließ er den nächsten Test vorbereiten. Sein Sohn Kim Jong Un, 2011 an die Macht gekommen, beschleunigte die Entwicklung. Nach einer heftigen Phase von Tests und Drohungen hat er nun wieder auf Annäherung umgeschaltet – rechtzeitig zu Olympia.
Sein Über-Großvater Kim ist derweil immer noch Staatsführer, weil ihm niemand diesen Titel streitig machen will. Der jüngere Kim begnügt sich mit andere Titeln: Er ist Oberbefehlshaber der Armee, Vorsitzender der Arbeiterpartei und Chef der Regierung. Die Statue von Großvater Kim, 20 Meter hoch, erhebt sich als Heiligtum auf dem Mansu-Hügel in Pjöngjang. Alle Medien wiederholen unablässig, wie genial die Kims seien, und dass Nordkorea unter ihrer Führung zum Paradies geworden sei. Südkorea erfreut sich derweil einer besonders lebendigen demokratischen Kultur. Von den 60er Jahren bis Ende der 80er hatten Militärs und Geheimdienstleute die angespannte Lage genutzt, um die freien Wahlen auszuhebeln. Doch seitdem nutzen die Südkoreaner ihre verfassungsmäßig garantierte Freiheit nach Kräften. Demos mobilisieren in Seoul viele Teilnehmer, politische Fragen werden im ganzen Land heftig diskutiert, es gibt spektakuläre Regierungswechsel. Auch wenn beide Seiten jetzt wieder miteinander reden: Die Teilung des Landes war nie ausgeprägter.