
Das 39-seitige Papier (plus Anlagen) kommt eher unscheinbar daher – doch seine politische Sprengkraft könnte enorm sein. Denn der Prüfbericht des Bundesrechnungshofes zur Energiewende, der an den Haushaltsausschuss des Bundestages übermittelt wurde, lässt kein gutes Haar am Wirtschaftsministerium. Es ist auch für die Energiepolitik verantwortlich. An seiner Spitze steht Vizekanzler Sigmar Gabriel, der in wenigen Tagen zum offiziellen Kanzlerkandidaten der SPD gekürt werden soll.
Ohne den Minister beim Namen zu nennen, rügen die Rechnungsprüfer in dem Bericht, der dieser Redaktion vorliegt, schwerwiegende Mängel bei der Kontrolle der Energiewende. Das Ministerium habe seine Rolle als Gesamtkoordinator „noch nicht ausgefüllt“ und habe „keinen Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende“, bemängeln die Prüfer. Elementare Fragen wie „Was kostet die Energiewende den Staat?“ oder „Was soll die Energiewende den Staat kosten?“ würden weder gestellt noch beantwortet.
Kritik kommt zur Unzeit
Für Sigmar Gabriel kommt das vernichtende Urteil der Behörde zur Unzeit. Gerade erst war der Niedersachse, der sich kurz vor Weihnachten einer Operation unterzogen hatte, mit einer Reihe von Initiativen in die Offensive gegangen. Er hatte am Wochenende mehrere große Interviews gegeben und ein Konzept zur inneren Sicherheit entworfen, er prangerte das Steuerdumping in der EU an und forderte Mindestsätze für Unternehmenssteuern. Er wetterte gegen die „Boni-Exzesse“ und brachte Mindestquoten für Wohnungen in Gemeinnützigkeit ins Gespräch.
Unübersehbar, dass sich der Niedersachse für die Kür des Kanzlerkandidaten, die am 29. Januar bei einer Klausursitzung des SPD-Vorstands erfolgen soll, in Stellung brachte, zumal auch sein aussichtsreichster Rivale, der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, bereits öffentlich angedeutet hatte, nicht als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl antreten zu wollen.
Nun jedoch wirft ihm der Bundesrechnungshof in seinem Prüfbericht gravierende Mängel bei der Organisation seines Ministeriums vor. Weder innerhalb des Hauses noch innerhalb der Bundesregierung oder mit den Bundesländern fänden ausreichend koordinierte Absprachen zur Energiewende statt, die Folge seien Doppelarbeiten und doppelte Förderungen.
Das Wirtschaftsministerium stehe in der Pflicht, die ihm für die Energiewende zur Verfügung stehenden fast drei Milliarden Euro pro Jahr zielgerichtet und effizient einzusetzen. Mitnahmeeffekte müssten vermieden und ineffiziente Förderprogramme eingestellt werden statt sie zu verlängern oder aufzustocken. Der Bund müsse sich „rasch an zentraler Stelle einen umfassenden Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende verschaffen“. Ansonsten bestehe das Risiko, „dass es immer teurer werden wird, die Energiewende weiter voranzutreiben“, monieren die Prüfer. Aufgabe der Regierung und des Wirtschaftsministeriums als Gesamtkoordinator müsse es sein, „eine Balance zwischen hohen Klimaschutzzielen und effizienten Förderprogrammen zu finden“.
In einer Stellungnahme wies das Wirtschaftsministerium die Vorwürfe als „nicht nachvollziehbar“ zurück, durch die beiden Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes EEG sei das Energiesystem „fit für die Zukunft“ gemacht worden.
Vorwürfe aus Ostdeutschland
Ungemach droht Gabriel gleichzeitig auch noch von anderer Seite – die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder, darunter auch seine Parteifreunde Dietmar Woidke aus Brandenburg und Erwin Sellering aus Mecklenburg-Vorpommern, laufen Sturm gegen Gabriels Entscheidung, die Kosten für die Netzentgelte zu regionalisieren. Sie werfen ihm „Wortbruch“ vor, hatte Gabriel doch im Oktober bei der Reform der Ökostromförderung zugesichert, die Kosten bundeseinheitlich umzulegen. Doch entgegen seiner Zusage wurde dieser Passus aus der jüngsten Fassung des Gesetzentwurfs gestrichen.
In Berlin heißt es, Gabriel habe dies aus Rücksicht auf seine Parteifreundin Hannelore Kraft gemacht, die im Mai Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen habe und von steigenden Strompreisen verschont werden solle. Neben NRW profitieren das Saarland, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz von dieser Regelung. Dagegen würde vor allem in den ostdeutschen Ländern, wo viel mehr Ökostrom produziert als verbraucht wird, der Strom teurer werden. Nach Berechnungen belaufen sich die Mehrkosten auf eine halbe Milliarde Euro pro Jahr, die auf die Haushalte und Unternehmen umgelegt werden. Entsprechend groß ist die Empörung in der brandenburgischen SPD. Gabriel bestrafe ausgerechnet jene Länder, die beim Ausbau der erneuerbaren Energien führend seien, heißt es in Potsdam.