An Superlativen herrscht kein Mangel. Eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe sei „das wohl anspruchsvollste Gesetzgebungsverfahren dieser Legislaturperiode“, urteilte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bereits vor einem Jahr. Zwei Mal debattierte der Bundestag bereits über dieses Thema, offen, ernsthaft und leidenschaftlich, ohne dass die üblichen Fraktionsgrenzen galten, das erste Mal im November vergangenen Jahres, das zweite Mal Anfang Juli, im Herbst fand eine große Anhörung statt. Und selbst Bundespräsident Joachim Gauck würdigte vor wenigen Tagen, dass die Diskussionen über Palliativmedizin und Suizidbeihilfe „mit so großer Nachdenklichkeit und so viel Verantwortungsbewusstsein geführt werden“.
Im Laufe des zweijährigen Diskussionsprozesses sind vier Gesetzentwürfe entstanden, über die der Bundestag an diesem Freitag entscheidet. Auch wenn sich die vier Anträge deutlich unterscheiden, sind sich alle Fraktionen einig, in Deutschland weder die aktive Sterbehilfe zulassen zu wollen, wie es beispielsweise Belgien oder Holland bereits getan haben, oder die Tötung auf Verlangen straffrei zu stellen. Im Mittelpunkt steht vielmehr das Bestreben, den geschäftsmäßig ausgerichteten Sterbehilfevereinen das Handwerk zu legen.
Die entscheidende Frage ist, ob dies nur mithilfe einer Verschärfung des Strafrechts möglich ist oder ob eine Regelung außerhalb des Strafrechts ausreicht. Die Positionen im Überblick:
Verbot der Beihilfe zum Suizid
Am weitesten gehen die Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer und Hubert Hüppe (alle CDU/CSU). Sie fordern ein Verbot der Hilfe bei der Selbsttötung, die bislang straffrei ist. Wer zu einem Suizid anstiftet oder bei einem Selbstmord mithilft, soll mit einer Strafe von bis zu fünf Jahren Haft belegt werden.
Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid
Geht es nach der Zahl der Unterstützer(mehr als 250) und der Prominenz der Befürworter (Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Volker Kauder, Thomas Oppermann, Katrin Göring-Eckardt) hat der Antrag einer interfraktionellen Gruppe um Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) und Kathrin Vogler (Linke) die größten Chancen, eine Mehrheit zu finden. Nach ihren Vorstellungen soll die Tätigkeit von kommerziellen Sterbehilfevereinen und -organisationen verboten werden, bei Zuwiderhandlung drohen bis zu drei Jahre Haft.
Angehörige und nahe Verwandte sind davon ausgenommen, ebenso Ärzte, wenn deren Tun nicht auf Gewinn orientiert ist.
Regelung zum ärztlich assistierten Suizid
Ohne eine Verschärfung des Strafgesetzbuches wollen Peter Hintze (CDU), Dagmar Wöhrl (CSU), Karl Lauterbach und Carola Reimann (beide SPD) auskommen. Nach ihrem Gesetzentwurf sollen Ärzte Beihilfe zum Suizid leisten dürfen, wenn der Patient eine organische Krankheit hat, die unumkehrbar zum Tode führt, objektiv schwer leidet, die Diagnose von einem weiteren Arzt bestätigt wurde und eine umfassende Beratung über andere Behandlungsmöglichkeiten stattgefunden hat, zudem muss der Patient volljährig und einwilligungsfähig sein. Mit einer Änderung des Zivilrechts sollen Ärzte vor Sanktionen nach dem Standesrecht, das mit dem Entzug der Zulassung droht, geschützt werden.
Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine
Noch weiter gehen Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und Petra Sitte (Linke). Um den gewerbsmäßigen und kommerziell ausgerichteten Sterbehilfegruppen das Wasser abzugraben, wollen sie organisierte Suizidhilfe ohne Gewinnabsicht unter Beachtung strenger Regeln zulassen. So müssen Ärzte oder Organisationen, die Beihilfe zum Selbstmord leisten, Beratungsgespräche durchführen und alle Fälle genau dokumentieren. Auch diese Gruppe strebt an, das standesrechtliche Verbot für Ärzte abzuschaffen.
Zwei Stunden wird der Bundestag an diesem Freitag ab 9 Uhr offen und ohne Fraktionszwang debattieren, danach folgt ein ungewöhnliches und etwas kompliziertes Abstimmungsverfahren. In der ersten Runde stehen diese vier Gesetzentwürfe sowie ein zusätzlich eingereichter Antrag der Grünen-Abgeordneten Katja Keul, alles beim Alten zu belassen, zur Auswahl. Die beiden Gesetzentwürfe, die dabei die meisten Stimmen erhalten, kommen eine Runde weiter. Über den Antrag, der bei der zweiten Abstimmung die meisten Stimmen erhält, wird schließlich in einer dritten Runde alleine abgestimmt. Erhält er eine Mehrheit, ist er angenommen, lehnt ihn eine Mehrheit ab, ändert sich an der derzeit geltenden Rechtslage überhaupt nichts.