zurück
BERLIN
Neuer Streit in der Koalition
Wolfgang Schäuble       -  Er löste neuen Streit aus: Finanzminister Wolfgang Schäuble verglich die Flüchtlingsbewegung mit einer „Lawine“.
Foto: Olivier Hoslet, dpa | Er löste neuen Streit aus: Finanzminister Wolfgang Schäuble verglich die Flüchtlingsbewegung mit einer „Lawine“.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 21.11.2015 03:51 Uhr

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat einen neuen Streit in der Bundesregierung über die Flüchtlingspolitik ausgelöst und indirekt den Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharf kritisiert. Bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin verglich er die anhaltende Flüchtlingsbewegung nach Deutschland und andere Länder Europas mit einer „Lawine“ und sagte dabei, ohne Namen zu nennen: „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt.“ Ob er damit Merkel und ihre Politik der offenen Grenzen meinte, ließ er offen.

Auch wagte er keine Prognose über den Ausgang. „Ob wir schon in dem Stadium sind, wo die Lawine im Tal unten angekommen ist, oder ob wir in dem Stadium im oberen Ende des Hanges sind, weiß ich nicht.“ Wenn man noch im oberen Teil sei, dann sei die Herausforderung eine ziemlich große. Deutschland könne diese Situation alleine nicht meistern, auch nicht mit Kontrollen an seinen Binnengrenzen. Vertreter des Koalitionspartners SPD und der Opposition reagierten mit Empörung auf diese Äußerungen Schäubles. Justizminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich bestürzt und warf Schäuble verbale Brandstiftung vor. „Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe“, schrieb er über den Kurznachrichtendienst Twitter.

„Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe.“
Justizminister Heiko Maas (SPD) zu Schäubles Lawinenäußerung

Die Flüchtlingsdebatte sollte besonnen geführt werden, statt dass man mit Worten noch Öl ins Feuer gieße. Auch SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel distanzierte sich von den Äußerungen Schäubles. „Ich kann mir das Bild nicht zu eigen machen.“ Er würde einen solchen Vergleich nicht wählen, sagte Gabriel. Linken-Chef Bernd Riexinger nannte den Vergleich „so falsch wie fatal“.

Auch Bundespräsident Joachim Gauck meldete sich zu Wort und warnte beim Besuch von zwei Flüchtlingseinrichtungen in Bergisch-Gladbach vor besonders pessimistischen Äußerungen und der Wiedergabe von Stereotypen in der Flüchtlingsdebatte, ohne allerdings Namen zu nennen. „Es werden Horrorszenarien für die Zukunft gemacht. Und diese Horrorszenarien und diese negativen Stereotypen haben alle eines gemeinsam: Sie entmächtigen uns.“ Denn sie suggerierten, dass man nicht mehr in der Lage sei, den kommenden Herausforderungen zu entsprechen. An den Rändern der Gesellschaft entstehe eine „Angstkultur“, die bedrohlich sei.

Gleichzeitig ermutigte er die Bürger, auf angemessene Weise Kritik an der Flüchtlingspolitik zu äußern. „Wir müssen begreifen, dass wir beides tun können: Wir können solidarisch handeln und gleichzeitig eine Problemanalyse betreiben und Sorgen und Besorgnisse nennen.“ Bürger dürften auch „das Maul aufmachen“, so Gauck.

Derweil wurde bekannt, dass die Bundesregierung nicht weiß, wie viele Flüchtlinge sich in den deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen aufhalten. Innen-Staatssekretär Ole Schröder antwortete auf eine entsprechende Anfrage der Grünen-Abgeordneten Renate Künast, der Regierung liege „keine Gesamtübersicht über die Zahl der in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebrachten Asylbewerber vor“. Künast nannte dies „peinlich“.

Der Gesamtpersonalrat des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration (Bamf) übte massive Kritik an der derzeitigen Praxis bei der Bearbeitung von Asylanträgen von Syrern.

Das momentan praktizierte verkürzte schriftliche Verfahren ohne eingehende Prüfung der Bewerber sei anfällig für Betrug und „mit dem Rechtsstaatsgebot nicht vereinbar“, hieß es in dem Schreiben an den neuen Behördenchef Frank-Jürgen Weise. Es sei davon auszugehen, dass es einen „hohen Anteil“ von Asylsuchenden gebe, „die eine falsche Identität angeben, um eine Bleibeperspektive mit der Möglichkeit des Familiennachzugs etc. zu erhalten“.

Als Syrer werde derzeit anerkannt, wer sich schriftlich im Rahmen einer Selbstauskunft als Syrer bezeichne und ein Dolmetscher dies bestätige. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere hatte erst vor kurzem darauf hingewiesen, dass sich rund 30 Prozent der Antragsteller als Syrer ausgeben würden, obwohl sie keine Syrer seien.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Martin Ferber
Bernd Riexinger
Bundesfinanzminister
Bundesinnenminister Thomas de Maizière
Bundeskanzlerin Angela Merkel
CDU
Flüchtlingspolitik
Frank-Jürgen Weise
Heiko Maas
Horrorszenarien
Joachim Gauck
Lawinen
Ole Schröder
Regierungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland
Renate Künast
SPD
Sigmar Gabriel
Twitter
Wolfgang Schäuble
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen