Es sind die Schatten einer dunklen Vergangenheit, die Belgien gerade einholen. Erinnerungen an die schreckliche Zeit zwischen 1982 und 1985, an den „Riesen“, den „Killer“ und den „Alten“ – besser bekannt als die „Bande von Brabant“, jenem Ort 40 Kilometer von Brüssel entfernt. Alles wird gerade wieder wach, Augenzeugen von damals schildern noch einmal, dass sie sich abends „nicht mehr vor die Türe trauten“. Doch nach 32 Jahren scheint die Polizei nun vor der Lösung zu stehen.
Die meisten der Anschläge verliefen damals nach dem gleichen Muster. Wie beispielsweise am 8. November 1985. Bei einem Überfall auf einen Supermarkt starben innerhalb von 20 Minuten acht Menschen, darunter ein 13-jähriger Junge. Die mit Karnevalsmasken getarnten Täter tauchten innerhalb von einer halben Stunde in zwei Geschäften einer Einzelhandelskette auf und schossen auf jeden, der sich nicht schnell genug in Deckung brachte.
Angst und Verunsicherung
Doch so überraschend, wie die Serie begann, die 28 Menschen das Leben kostete und über 20 weitere verletzte, endete sie wieder. Möglicherweise sei einer der Täter schwer verletzt worden oder verstorben. Eine 100-köpfige Sonderkommission ermittelte, die Ergebnisse füllen fast zwei Millionen Seiten. Doch ein Fahndungserfolg blieb aus. Und so wuchsen wilde Gerüchte. Bei dem offensichtlichen Anführer – wegen seiner Körpergröße „Riese“ genannt – soll es sich um ein Ex-Mitglied der Elite-Polizeieinheit Reichswache handeln, die zu der Anti-Terror-Gruppe „Diane“ zählte. Sie hatte die belgische Regierung nach dem Olympia-Attentat in München 1972 ins Leben gerufen. Befürchtungen, die Täter würden „von oben“ gedeckt, machten die Runde. Der Hintergrund: In einigen Kreisen wurde vermutet, das Killer-Kommando solle für Angst und Verunsicherung sorgen, damit das Land für einen Umsturz von rechts offen würden. Das gleiche Gerücht tauchte Mitte der 1990er Jahre wieder auf, als der mehrfache Kindermörder Marc Dutroux endlich verhaftet wurde.
Am vergangenen Samstag strahlte der Privatsender VTM ein Interview mit einem nicht näher genannten Informanten aus, der unter Tränen gestand, der Bruder des „Riesen“ zu sein. Vor zweieinhalb Jahren habe der ihm auf dem Sterbebett gebeichtet, Mitglied dieser Bande gewesen zu sein. Wirklich neu ist der Name des möglichen Attentäters nicht. Schon 1999 tauchte er erstmals in den Ermittlungsakten auf. Ein Opferanwalt bekräftigte in diesen Tagen, er habe den Sicherheitsbehörden schon damals einen Tipp gegeben. Doch die hätten „nichts getan“.
Neue Hinweise nach TV-Sendung
Nach der Ausstrahlung einer TV-Sendung über den Fall hatten sich zudem zwei Jugendliche gemeldet, die im Mai im Kanal Brüssel-Charleroi zwei Kisten mit Waffen und Munition entdeckt hatten. Die beiden Metallkisten trügen die Aufschrift „Gendarmerie“, erklärte die Staatsanwaltschaft Lüttich. Darin hätten sich tausend Neun-Millimeter-Patronen und ein Plastiksack mit einer sogenannten Riot Gun und einer Faustfeuerwaffe befunden. Ob der Fund für den Fall relevant sei, werde geprüft. Doch nach wie vor scheint eine der wichtigsten Fragen ungeklärt: Welches Motiv hatten die brutalen Killer? Bei ihren Überfällen ließen sie zwar mal Tee, Champagner und auch Juwelen mitgehen.
Zwei Mal räumten sie auch die Kassen aus – doch sie erbeuteten nie große Summen. Einmal sollen es umgerechnet 30 000 Euro gewesen sein.
Sogar eine Verbindung zur Gruppe „Rosa Balletten“ wurde konstruiert. Unter diesem Namen sollen in den 80er und 90er Jahren prominente Belgier, Politiker, Industrielle und gesellschaftliche Würdenträger Sexpartys mit Minderjährigen veranstaltet haben. Auch von Waffenhandel ist die Rede. Bewiesen wurde all das nie. Auch bei der Aufdeckung des Falles Dutroux nicht. Noch ist offen, ob Belgien nach den Hinweisen des Informanten eine der schlimmsten Verbrechensserien Europas abschließen kann. Mit Informationen der Dpa