zurück
Neue Regeln fürs Glücksspiel
In Deutschland dürfen auch private Wettanbieter mitmischen, sagen die Europa-Richter. Das staatliche Monopol gerät ins Wanken.
Winkt das Glück? Statistik-Forscher der Universität Dortmund sagen: Die Chance, beim klassischen 6-aus-49-Zahlenlotto die richtigen Zahlen plus Superzahl zu treffen, liegt bei 1 zu 140 Millionen.
Foto: dpa | Winkt das Glück? Statistik-Forscher der Universität Dortmund sagen: Die Chance, beim klassischen 6-aus-49-Zahlenlotto die richtigen Zahlen plus Superzahl zu treffen, liegt bei 1 zu 140 Millionen.
Von Detlef Drewes und Nils Glück
 |  aktualisiert: 07.11.2019 15:06 Uhr

Die Glücksfee hat gut lachen. Ausgerechnet den Europa-Richtern aus Luxemburg verdankt sie einen regelrechten Siegeszug. Sie haben am Mittwoch die Türen für noch mehr richtige (und falsche) Tipps geöffnet, indem sie das staatliche Monopol für Glücksspiel in Deutschland in Grund und Boden geurteilt haben. Mit sofortiger Wirkung.

Private Wettanbieter wie Bwin, Happybet, Tipico und andere waren vor deutschen Gerichten mit dem Versuch gescheitert, eine Lizenz für den lukrativen Markt in der Bundesrepublik zu bekommen. Immerhin gibt hierzulande jeder dritte Bürger mindestens einmal in der Woche einen Tipp ab.

Doch da die Länder 2008 erst einen neuen Staatsvertrag geschlossen und darin das Monopol noch einmal untermauert hatten, legten die hiesigen Kammern nun dem Europäischen Gerichtshof die Entscheidung vor. Der urteilte unmissverständlich: Die deutschen Gesetze stellen einen nicht zulässigen Eingriff in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit dar. Dieser könne jedoch gerechtfertigt sein, wenn „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ vorliegen.

Beispielsweise um die Spielsucht zu bekämpfen. Genau das aber sei de facto nicht der Fall, da die „Inhaber der stattlichen Monopole intensive Werbekampagnen durchführen, um die Gewinne aus den Lotterien zu maximieren“. Außerdem duldeten die deutschen Behörden Kasino- und Automatenspiele, deren Suchtpotenzial anerkanntermaßen sehr viel höher liege. „80 Prozent aller Spielsüchtigen sind nicht Lottospieler, sondern Automatenspieler“, sagt Professor Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim. Deshalb ist für ihn klar: „Man kann das Lottomonopol des Staates nicht mit der Suchtgefährdung der Spieler begründen.“

„Jetzt gibt es eine Chance, klare Regeln für einen freien Glücksspiel-Markt in Deutschland festzulegen“

August-Wilhelm Scheer, Chef von Bitkom

Beim privaten Wettanbieter Bwin knallten nach dem Luxemburger Urteil nicht nur symbolisch die Korken, denn die Aktie legte gleich mal um sechs Prozent zu. Im Europäischen Parlament begrüßte der Vorsitzende der CDU-Abgeordneten, Werner Langen, die Entscheidung als „Schritt für mehr Wettbewerbschancen staatlicher und privater Wettanbieter“. Und auch der Chef des Hightech-Verbands Bitkom, August-Wilhelm Scheer, sah die Entscheidung positiv: „Jetzt gibt es eine Chance, klare Regeln für einen freien Glücksspiel-Markt in Deutschland festzulegen.“

Dabei hatten die staatlichen Lotterie-Verwaltungen vor dem Verfahren alle Geschütze aufgefahren, um vor den Folgen einer völligen Liberalisierung des Marktes zu warnen. Ohne Kontrolle von öffentlichen Stellen könnten „Gelder in dunklen Kanälen versickern“, hieß es bei der Nordwestdeutschen Klassenlotterie. Und auch Lotto-Chef Friedhelm Repnik unkte: „Eine Freigabe des Marktes wäre mit erheblichen Risiken verbunden. Ich denke dabei vor allem an Spielsucht, Geldwäsche und Manipulationen.“

Tatsächlich geht es ums Geld. Elf Milliarden Euro lassen sich die Bundesbürger im Jahr den Traum von einem Besuch der Glücksfee kosten. Die Bundesländer, die das Monopol ausüben, kassieren kräftig mit, denn 16,7 Prozent der Einnahmen wandern in deren Haushalte. Ein erheblicher Teil dieser Gelder – offiziellen Angaben zufolge über zwei Milliarden Euro – werden anschließend für Sponsoring Projekte wieder ausgegeben. Viele Breitensport- und Kultur-Veranstaltungen wären ohne die Zuschüsse aus den Lotto-Anteilen gar nicht denkbar. Vor diesem Hintergrund zogen in den letzten Jahren die öffentlichen Prüfer durch die deutschen Länder, um private Wettbüros gleich reihenweise wieder zu schließen.

Dennoch hatte auch das so rigide deutsche System längst erhebliche Lücken, die dem hehren Anspruch, allzu leidenschaftliche Spieler vor sich selbst schützen zu wollen, nicht gerecht wurden. Erst vor wenigen Tagen verurteilte das Oberlandesgericht Schleswig das Unternehmen NordWestLotto wegen Losverkäufen an Minderjährige. Hinzu kamen die immer mehr verschwimmenden Grenzen. Der Fachbeirat Glücksspielsucht in Hessen erhob Mitte dieses Jahres Klage gegen das eigene Ministerium für Inneres und Sport, weil dieses dem Staatsunternehmen Lotto Hessen das Spielen per E-Postbrief erlaubt hatte.

„Die Spieler, die bisher in die Lotto-Läden gekommen sind, werden das auch weiterhin tun.“

Eine Mitarbeiterin der Bezirksstelle von Lotto-Süd in Würzburg

Was bedeutet die Aufhebung der Regulierung für die Zukunft von Lotto und Sportwetten? Die zuständigen Behörden halten sich bedeckt. „Die Staatsregierung wird jetzt zunächst die Entscheidung und ihre Begründung intensiv prüfen“, heißt es aus der Münchener Staatskanzlei knapp.

Auch die Lottoverwaltung Bayerns äußert sich nur einsilbig: Der Gerichtshof habe klargestellt, „dass die EU-Mitgliedstaaten entscheiden können, ob sie ein Kommerzmodell oder ein am Gemeinwohl orientiertes Staatsvertragsmodell wollen“.

Konkreter wird da schon die Bezirksstelle von Lotto Süd in Würzburg. Angst vor privater Konkurrenz müssten die vielen Annahmestellen nicht haben, erklärt eine Mitarbeiterin. „Die Spieler, die bisher in die Lotto-Läden gekommen sind, werden das auch weiterhin tun. Beim Lotto haben wir noch sehr viel stationären Vertrieb.“ Der Trend zum Glücksspiel im Internet werde sich jedoch vermutlich fortsetzen: „Junge Spieler gehen eher ins Internet. Beim Oddset haben wir Einbrüche, weil die jungen Kunden zu den Anbietern im Netz gehen.“ Wenn private Anbieter nun wieder legal für ihre Angebote werben dürften, könne sich der Effekt noch verstärken.

Ganz andere Auswirkungen befürchtet Josef Baunach von der Caritas, Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle für Suchtprobleme in Würzburg. „Sollte das Monopol wirklich fallen, dann wissen wir nicht, was aus den Zuschüssen vom Freistaat für Spielsuchthilfe wird“, sagt er. Denn im Staatsvertrag sei festgeschrieben: Wenn der Staat ein Monopol bei Glücksspielen betreibt, dann muss er sich auch an den Kosten der Suchthilfe beteiligen. Eine Berater-Stelle in der Würzburger Caritas-Einrichtung wird momentan vom Freistaat finanziert. „Es wäre wichtig, dass solche Projektstellen erhalten bleiben, wenn der Staatsvertrag geändert wird“, fordert Baunach und ergänzt: „Der Bedarf ist in jedem Fall da.“ Ein freier Markt für Glücksspiele dürfe nicht dazu führen, dass sich der Staat aus der Verantwortung stehle. Mit Material von dpa

Der Lotterie-Staatsvertrag

Das Wettmonopol, das der Europäische Gerichtshof in Luxemburg jetzt für unzulässig erklärt hat, war eines der letzten staatlichen Monopole in Deutschland. Danach durften Glücksspiele – mit Ausnahme von Pferdewetten – nur von den Lottogesellschaften der Länder angeboten werden. Der 2008 in Kraft getretene Lotterie-Staatsvertrag sollte das Wettmonopol für zunächst vier weitere Jahre sichern. In den vergangenen Jahren haben die staatlichen Lotterien im Internet Konkurrenz privater Anbieter bekommen, vor allem von Sportwetten. Diese Unternehmen – meist mit Sitz im Ausland – können deutlich attraktivere Quoten anbieten, weil sie keine Konzessionsabgaben an den Staat leisten müssen. Wegen des Monopols galten sie als illegal. Text: dpa

Die Situation des Glücksspielmarktes in Deutschland

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen