
Die Idee, mit Martin Schulz als SPD-Spitzenkandidaten in den Europawahlkampf zu ziehen, hat bei führenden Sozialdemokraten keine Begeisterungsstürme entfacht. Auch in Brüssel herrschte am Montag eher distanziertes Schweigen. Dabei sucht nicht nur die SPD nach einem kraftvollen europäischen Zugpferd für das kommende Jahr.
Kurz nachdem Martin Schulz im März 2018 seinen Rückzug als SPD-Vorsitzender und potenzieller Außenminister in einer neuen Großen Koalition angekündigt hatte, tauchten bereits die ersten Gerüchte auf. Der ehemalige EU-Parlamentspräsident werde sich „demnächst“ nach Brüssel orientieren und möglicherweise als deutscher Kommissar einen Führungsjob übernehmen, hieß es.
Am Wochenende bekamen solche Spekulationen neue Nahrung. Gleich zwei führende Sozialdemokraten – Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der Sprecher des konservativen „Seeheimer Kreises“, Johannes Kahrs, brachten Schulz als Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 ins Gespräch. „Er steht und brennt für dieses Thema. Das nicht zu nutzen, wäre fahrlässig“, sagte Müller in einem Interview.
SPD will rechtzeitig entscheiden
Doch Begeisterungsstürme sehen anders aus. Udo Bullmann, Chef der sozialdemokratischen EU-Parlamentsfraktion, zeigte gegenüber dieser Redaktion nüchtern: „Über die Spitzenkandidaten-Frage entscheidet die SPD rechtzeitig vor der Europawahl in einem geordneten Prozess. Hierzu wird es eine Europadelegiertenkonferenz Ende 2018 geben. Die Gremien der Partei werden vorab einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.“
Hinter solch offiziellen Statements herrscht offenbar ein zwiespältiges Stimmungsbild. Auf der einen Seite gibt es Befürworter dieser Idee. Zu dieser Seite zählen Beobachter unter anderem den Chef der deutschen Sozialdemokraten in der Abgeordnetenkammer, Jens Geier. Von Bullmann heißt es, er stehe solchen Überlegungen eher distanziert gegenüber. Nicht zuletzt deswegen, weil er eigene Ambitionen verfolge, als die deutsche Nummer Eins der SPD den Wahlkampf anführen zu können.
Schulz selbst schweigt – natürlich. Als der einstige Hoffnungsträger der SPD Ende April die bis dahin dauernde Interview-Abstinenz durchbrach und seiner heimatlichen „Aachener Zeitung“ einen Besuch abstattete, war von europäischen Neigungen so gar keine Rede: „Ich bin im Deutschen Bundestag derzeit ganz gut aufgehoben“, sagte er.
Dabei hat Schulz durchaus Erfolge vorzuweisen. Der 62-Jährige kam 1994 ins Europäische Parlament, übernahm 2004 den Fraktionsvorsitz und wurde 2012 Präsident der Volkskammer. Bei der Europawahl 2014 trat er als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten an und holte beachtliche 27,3 Prozent – ein Plus von 6,5 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2009. Trotzdem unterlag er dem Christdemokarten Jean-Claude Juncker, der daraufhin zum Chef der Europäischen Kommission aufrückte. Schulz blieb für zweieinhalb weitere Jahre auf dem Präsidentensessel des Parlaments.
Gut ein Jahr vor der nächsten Europawahl sind es aber nicht nur die Sozialdemokraten, die noch rätseln, wer sie führen soll. Auf EU-Ebene kristallisieren sich Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans aus den Niederlanden sowie die italienische Außenbeauftragte der Union, Federica Mogherini, als mögliche Spitzenkandidaten heraus.
Bei den Liberalen scheint Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager aus Dänemark gute Chance zu haben. Dagegen gilt in den Reihen der Christdemokraten derzeit nur der Franzose Michel Barnier, derzeit Brexit-Chefunterhändler, als möglicher Top-Kandidat.
Allerdings hat sich die Bundesregierung noch nicht entschieden, ob sie bei der Auswahl der demnächst zu besetzenden Spitzenjobs lieber den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) oder den Chef der nächsten EU-Kommission für Deutschland holen würde.
Allgemeines Stühlerücken
Bei der Nato steht der Posten des Generalsekretärs zur Neubesetzung an. In Berlin wird spekuliert, die Bundeskanzlerin wolle gerne ihren jetzigen Wirtschaftsminister Peter Altmaier, einen ausgewiesenen Brüssel-Kenner, entsenden. Der dürfte aber kaum EU-weit als Spitzenkandidat geeignet sein und gilt somit als Geheimtipp, falls Berlin nicht den Präsidenten der Kommission, sondern nur einen deutschen EU-Kommissarsposten zu vergeben hat.
Schulz taucht in diesen Spekulationen bisher nicht auf. Auch seine Unterstützer denken wohl eher daran, ihn als Zugpferd für die deutsche Liste der künftigen Parlamentsabgeordneten zu nominieren.
Das kaum vorhandene Echo aber zeigt wohl eher, dass es sich um einen Versuchsballon gehandelt haben dürfte, mit dem die Partei deutlich machen wollte, dass sie ihre einstige Nummer Eins noch nicht vergessen hat und wenigstens entschädigen möchte.