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Neuanfang vor historischer Kulisse
Der Nachfolger Einen Tag nach seiner Wahl zum nächsten Präsidenten Frankreichs trat Emmanuel Macron an der Seite seines Vorgängers und Mentors François Hollande auf.
TOPSHOT-FRANCE-HISTORY-WWII-ANNIVERSARY       -  Am Montag gab sich der amtierende französische Präsident François Hollande (rechts) in Paris versöhnlich gegenüber dem Wahlsieger Emmanuel Macron.
Foto: PHILIPPE WOJAZER, afp | Am Montag gab sich der amtierende französische Präsident François Hollande (rechts) in Paris versöhnlich gegenüber dem Wahlsieger Emmanuel Macron.
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 15.05.2017 03:48 Uhr

Väterlich fasst Präsident François Hollande seinen jungen Nachfolger am Arm, tätschelt ihn am Rücken. Dieser blickt den scheidenden Amtsinhaber bewegt, fast dankbar an, dann demütig zu Boden. Lässt sich zum Triumphbogen an der Spitze der Champs-Elysées vor die Flamme des unbekannten Soldaten führen, wo an jedem 8. Mai eine symbolische Zeremonie stattfindet. Der Tag der Befreiung der Nazis erscheint diesmal bedeutend in vielerlei Hinsicht.

Ausgerechnet hier und zu diesem Anlass tritt Emmanuel Macron zum ersten Mal nach seinem Wahlsieg am Sonntag auf – jener Politiker, der einen Neuanfang wagen und Geschichte mit Moderne verbinden will. Mehr noch, Macron hat den Franzosen versprochen, sie in eine neue Ära zu führen. 39 Jahre ist er alt und mit seiner eigenen Partei „En marche!“ angetreten, die er vor gut einem Jahr gegründet hat. Er will Schluss machen mit der stereotypen Konfrontation der politischen Parteien, in der Mitte regieren, dem Land, das seit langem in einem wirtschaftlichen und moralischen Tief festhängt, wieder Schwung und Optimismus mitgeben.

„Die Aufgabe ist riesig“, verkündete Macron im Moment seines Triumphs, am Sonntagabend vor Zehntausenden jubelnden Anhängern auf dem Platz vor dem Louvre. „Ich will die Einheit unseres Volks und unseres Landes. Ich werde euch mit Liebe dienen.“ Sein hohes Ergebnis von 66 Prozent verdankt er auch dem Umstand, dass viele die Rechtspopulistin Marine Le Pen an der Macht verhindern wollten. Dass er den großen Herausforderungen gewachsen ist, denen Frankreich gegenübersteht, muss er erst noch beweisen.

So verfällt er am nächsten Tag nicht in Siegestaumel. Bescheiden und mit feierlichem Ernst vollführt Macron vor der historischen Kulisse und an der Seite von Hollande seine ersten Handlungen als frisch gewählter Staatschef. Gemeinsam entfachen sie die Flamme unter dem Triumphbogen neu, bevor die Marseillaise erklingt. Sie werden flankiert von der alten Garde der Politiker, die von den Wählern abgestraft wurde. Im Publikum sitzen jene, die seit Jahren Frankreichs Politik bestimmen und ebenfalls gerne an die Staatsspitze gedrängt wären, vom konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy bis zum früheren Premierminister Manuel Valls.

Sie alle hat Macron überholt, auch an seinem Mentor Hollande ist er vorbeigezogen. Dieser gibt sich versöhnlich, ja sogar stolz. „Emmanuel Macron ist mir die ganzen letzten Jahre gefolgt. Er hat sich dann emanzipiert, und nun ist es an ihm, Präsident zu sein, auch mit den Erfahrungen, die er an meiner Seite machen konnte“, sagt der erfahrene Staatschef über den jungen Politstar. Diesen hatte er nach seiner eigenen Wahl 2012 zunächst als Wirtschaftsberater angestellt und zwei Jahre später zum Wirtschaftsminister gemacht, bis Macron beschloss, seinen eigenen Weg zu gehen. Selbst Vertraute Hollandes, die in diesem Vorgehen einen illoyalen Alleingang sahen, finden nun lobende Worte. „Bravo, sein Sieg ist ein verrücktes Abenteuer“, erklärte die bisherige Gesundheitsministerin Marisol Touraine. „Er wird Präsident mit nicht einmal 40 Jahren, dabei hätte noch vor zwölf Monaten niemand einen Penny auf ihn gesetzt.“

Nun aber hat er sein vorläufiges Ziel erreicht. Den Vorsitz seiner Partei wird Macron abgeben und nach der offiziellen Amtsübergabe an diesem Sonntag seinen Premierminister – oder seine Premierministerin – vorstellen sowie die Regierungsmannschaft. Strikte Geschlechtergleichheit will er einhalten, das halbe Kabinett soll aus Vertretern der Zivilgesellschaft bestehen. Doch bei den Parlamentswahlen im Juni könnte es zu einem erneuten Stühlerücken kommen. Dann muss der Präsident mit der Partei regieren, die die Mehrheit in der Nationalversammlung erhält. Obwohl erst in dieser Woche alle Kandidaten von „En marche!“ bekannt gegeben werden, steht die Partei in Umfragen gut da: Demnach könnte sie mit rund 24 Prozent sogar siegen. Es wäre ein weiterer großer Vertrauensbeweis für den 39-Jährigen. Doch sind die Franzosen dazu bereit? Zwar feierten ihn Tausende enthusiastisch als neuen Hoffnungsträger. Mehr als vier Millionen Menschen, also zwölf Prozent aller Wähler, warfen aber auch einen leeren Stimmzettel in die Urne, um zu signalisieren, dass sie hinter keinem der beiden Kandidaten standen. Rund ein Fünftel ging gar nicht erst wählen. Die ganze Kampagne über war Macron scharfen Angriffen von allen Seiten ausgesetzt, der als früherer Investmentbanker und Absolvent von Elite-Hochschulen für viele keinen Bruch mit dem System darstellt, sondern für Kontinuität steht.

Der smarte Jungpolitiker wird längst nicht einhellig im Land geliebt. Viele fürchten sich vor einer „ultraliberalen“ Politikauffassung. Und was ist mit all jenen, die für seine Gegnerin stimmten? Der Philosoph Raphaël Glucksmann warnt vor übertriebenem Jubel darüber, dass die Franzosen sich gegen Abkapselung und Hass auf die anderen a la Le Pen und für Macrons liberale Weltoffenheit entschieden: „Wir haben den klinischen Tod verhindert, aber die Krankheit besteht weiter“ – also die Ursachen für die Wahl der Rechtspopulistin und die Zerrissenheit des Landes. Während Städter in überwältigender Mehrheit Macron wählten, erhielt Le Pen in vielen Landstrichen in der Provinz viel Zustimmung. Führungskräfte votierten für Macron, Arbeiter für Le Pen. „Es ist unendlich viel leichter für einen Bewohner eines modernen Pariser Stadtviertels, das europäische Projekt zu loben, als für einen Arbeitslosen, dessen Fabrik nach Rumänien ausgelagert wurde“, so Glucksmann.

Das Hauptversprechen des künftigen Staatschefs besteht darin, der Wirtschaft schnell zu einem Aufschwung zu verhelfen. Reformen des Arbeitsrechtes und der Arbeitslosenversicherung könnten bereits in den kommenden Monaten anstehen. Sie drohen aber auf Widerstand zu treffen, zumal Macron sie teilweise mit Verordnungen umsetzen will, um Zeit zu sparen. Unternehmen sollen etwa von einer Senkung der Sozialabgaben und der Körperschaftssteuer profitieren.

Darüber hinaus sieht er ein Gesetz zur „Moralisierung“ der Politik vor, das Abgeordneten verbieten soll, ihre Angehörigen als Mitarbeiter aus der Staatskasse zu bezahlen – so wie das beim republikanischen Kandidaten François Fillon der Fall war. Auch sollen sie künftig ihre gesamten Bezüge versteuern müssen. Auf Macrons Agenda steht zudem eine Vertiefung der Europapolitik und vor allem der Eurozone; er wirbt für eine starke deutsch-französische Achse, aber auch für einen Euro-Finanzminister, ein eigenes Budget – und letztlich könnte die heikle Frage von Eurobonds wieder auf den Tisch kommen.

Dass auch die Beziehungen zu manchen internationalen Partnern sich nicht nur einfach gestalten dürften, zeigte Wladimir Putins Reaktion: Es gehe darum, „das gegenseitige Misstrauen zu überwinden“, erklärte der russische Präsident. Nachdem „En marche!“ Opfer von Hackerangriffen wurde, stand die Vermutung im Raum, diese würden aus Moskau gesteuert.

In Frankreich wiederum ordnet der Sieg von Macrons junger Bewegung die französische Parteilandschaft neu. Dem Front National wurden Grenzen aufgezeigt, obwohl ihm Marine Le Pen mit 33 Prozent der Stimmen und elf Millionen Wählern das beste Ergebnis seiner Geschichte verpasst hat: Trotz der Schlappe geht sie mit einer starken Dynamik in die Parlamentswahlen. Dasselbe gilt für Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der angekündigt hat, eine „ökologische und humanistische“ Oppositionsbewegung stellen zu wollen.

Auch den beiden großen Volksparteien, die erstmals beide die zweite Runde einer Präsidentschaftswahl verpasst haben, stehen bewegte Zeiten und interne Diskussionen bevor. Werden sie bereit sein, Macrons ausgestreckte Hand zu ergreifen? Bauen sie lieber eine Oppositionskraft auf? „Es wird nicht jeden Tag leicht sein“, hat der Wahlsieger schon angekündigt. Eine Schonfrist erwartet er nicht. Schon die ersten Stunden haben gezeigt: Irgendwo zwischen Ungewissheit, verhaltener Euphorie und latentem Misstrauen muss sich das neue Frankreich unter Macron erst finden. Foto: afp

„Er wird Präsident mit nicht einmal 40 Jahren, dabei hätte noch vor zwölf Monaten niemand einen Penny auf ihn gesetzt.“
Marisol Touraine, bisherige Gesundheitsministerin
FRANCE-GOVERNMENT-CABINET-MEETING       -  _
Foto: STEPHANE DE SAKUTIN (AFP)
 
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