Hinter den heutigen Tag wird es kein Zurück mehr geben: Mit seinem unorthodoxen Auftritt vor dem US-Kongress durchschneidet Israels Premierminister Benjamin Netanjahu das ohnehin strapazierte Tischtuch zur Regierung Obama. Der Versuch, die Iran-Strategie des US-Präsidenten im Kapitol zu sabotieren, ist ein offener Affront. Vermutlich verfehlt er sein Ziel.
Die deutlichsten Worte hat Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice gefunden: Netanjahus Auftritt mache die Unterstützung für Israel zu einer Sache des inneramerikanischen Parteienstreits, sagte sie vergangene Woche im Fernsehen. „Das zerstört die Basis unserer Beziehung.“
Zurückhaltung aufgegeben
Auch Außenminister John Kerry hat seine diplomatische Zurückhaltung aufgegeben: „Der Premierminister hat sich schon zur Notwendigkeit der Irak-Invasion unter George W. Bush sehr lautstark aus dem Fenster gehängt“, erklärte er bei einer Kongressanhörung. „Er hat möglicherweise ein Urteilsvermögen, das in diesen Dingen falsch liegt.“ 2002 hatte Netanjahu vor dem Repräsentantenhaus gesagt: „Ich garantiere Ihnen enorme positive Auswirkungen für die gesamte Region, wenn Sie Saddams Regime stürzen.“ Ausdrücklich hatte er sich dabei auch auf den Iran bezogen.
Der Gescholtene muss sich in Israel ebenfalls Kritik anhören, konnte aber zuletzt nicht mehr zurück. „Ich respektiere das Weiße Haus und den US-Präsidenten“, sagte er vergangene Woche bei einem Wahlkampfauftritt. „Aber bei einer so ernsten Angelegenheit ist es meine Pflicht, alles für Israels Sicherheit zu tun.“ Allerdings hat der oppositionelle Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, den Staatsgast ohne die übliche Rücksprache mit dem Weißen Haus eingeladen, und auch Netanjahu hielt es nicht für nötig, dort eine Meinung einzuholen. Nur ein Drittel der Amerikaner ist mit dieser Brüskierung einverstanden; selbst Konservative und Juden erachten den Auftritt als unzulässige Einmischung ins politische System der USA.
Die Stimmung ist so schlecht, dass Obama selbst sich bislang kaum äußern musste. Dass der Auftritt in Israels Wahlkampf fällt, verschaffte dem Weißen Haus einen Grund, Netanjahu ein Treffen mit dem US-Präsidenten zu verweigern.
Das Verhältnis zwischen den beiden Regierungschefs gilt als zerrüttet, trotzdem hatten sie sich im Hinblick auf den Iran lange ergänzt: Ihre Rollenverteilung als guter und böser Polizist bewog viele Länder zur Teilnahme an Sanktionen. Nun scheint die Kooperation ausgeschöpft.
Die internationalen Atomverhandlungen mit dem Iran gelten als ambitioniertestes außenpolitisches Projekt Obamas. Der israelische Premier fürchtet, der US-Präsident könne sich aus Ehrgeiz und falsch verstandener Friedenssehnsucht mit einem zu laschen Deal begnügen. Kern des Streits war zuletzt die Frage, ob ein Abkommen zeitlich befristet sein soll. Für Netanjahu bleibt jeder Plan, der Iran nukleare Optionen belässt, eine existenzielle Bedrohung. Obamas Kabinett glaubt, dass das Land nach einer Bewährungsphase wie jede andere souveräne Nation das Recht haben muss, über eine zivile Nutzung selbst zu entscheiden.
Dreißig demokratische Mandatsträger haben angekündigt, Netanjahus heutigem Auftritt fernzubleiben; der prominente Stuhl von Vizepräsident Joe Biden hinter dem Rednerpult bleibt leer. Auch seinem eigentlichen Anliegen dürfte Netanjahu einen Bärendienst erweisen: Nachdem angebliche Details aus den Verhandlungen durchgestochen wurden, hält die US-Regierung jetzt schon Inhalte vor ihm geheim. Seine Aussicht auf künftige Mitsprache dürfte die Rede nicht steigern.
Die falsche Bühne gewählt
Allerdings rechnet niemand damit, dass das Verhältnis zwischen den Staaten dauerhaft Schaden nimmt. Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit war noch nie so eng wie unter Obama, und im Hinblick auf die Iran-Verhandlungen hat Netanjahu ohnehin die falsche Bühne gewählt: Dafür ist die Regierung zuständig, nicht der Kongress. Die Umstände seien zwar „merkwürdig, um nicht zu sagen einzigartig“, erklärte Außenminister Kerry am Sonntag, während Netanjahu im Flugzeug saß. Aber der israelische Premier könne natürlich gern in den USA sprechen.
Dann bestieg Kerry selbst eine Maschine nach Genf – zum nächsten Treffen mit seinem iranischen Amtskollegen.