Russische Langstreckenbomber üben ungewohnt intensiv über der Nord- und Ostsee. Die Nato verlegt zusätzliche Kampfjets ins Baltikum und erwägt erstmals Großmanöver in östlichen Mitgliedstaaten. Seit Monaten lassen Russland und die Nato wie in alten Zeiten ihre Muskeln spielen. Geht 2014 als das Jahr in die Geschichte ein, in der ein längst überwunden geglaubter Kalter Krieg neu entflammte?
Auf eine schnelle Wende der Lage im neuen Jahr deutet derzeit zumindest nichts hin. Im Gegenteil. Angesichts der Spannungen mit dem Westen ließ Kreml-Chef Wladimir Putin erst vor wenigen Tagen die russische Militärdoktrin über außenpolitische Gefahren und den Einsatz von Streitkräften neu fassen. Damit stuft das Riesenreich jetzt den Konflikt in der Ukraine und die Nato-Osterweiterung als Gefahr für seine eigene Sicherheit ein.
Schon Anfang September hatten die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten bei einem Gipfeltreffen vorgelegt. In Reaktion auf die als völkerrechtswidrig erachtete Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim und Moskaus Unterstützung für Separatisten im Osten der Ukraine wurde beschlossen, erstmals seit Ende des Kalten Krieges wieder gegen Russland aufzurüsten.
In den kommenden Monaten baut die Nato eine superschnelle Eingreiftruppe auf. Die neue „Speerspitze“ soll mehrere Tausend Soldaten umfassen und innerhalb weniger Tage beispielsweise nach Polen oder Litauen verlegt werden können.
„Es ist die größte Stärkung unserer gemeinsamen Verteidigung seit Ende des Kalten Kriegs“, kommentierte der neue Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (55) vor wenigen Wochen in Brüssel. Für die Übungen der Truppe werden Stützpunkte mit je rund 100 Posten in den sechs östlichen Nato-Ländern Estland, Lettland, Litauen sowie Polen, Rumänien und Bulgarien eingerichtet.
Stoltenberg muss sich deswegen auch kritische Fragen gefallen lassen – beispielsweise die, ob die Planungen der Nato nicht gegen die Abmachungen aus den Jahren 1997 und 2002 verstoßen. Diese sehen unter anderem vor, dass das Bündnis auf die ständige Stationierung „substanzieller Streitkräfte“ in den einstigen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts oder der Sowjetunion verzichtet.
„Was wir jetzt machen, dabei geht es nicht um die permanente Stationierung substanzieller Kampfgruppen“, entgegnet Stoltenberg. Man baue lediglich die „militärische Präsenz“ aus. Bislang folgt der Norweger zumindest nach außen hin der Linie seines Ende September aus dem Amt geschiedenen Vorgängers Anders Fogh Rasmussen (61). Bereits unter dem Dänen waren eine verstärkte Luftraumkontrolle über den baltischen Staaten und auf eine russische Bedrohung zugeschnittene Manöver organisiert worden. Für die Nato als Organisation gilt die Ukraine-Krise als Glücksfall. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Maueröffnung in Deutschland steckte das Militärbündnis zuletzt in einer Art Sinnkrise. Gefährliche Einsätze wie der in Afghanistan waren wenig populär, in Europa wollten Staaten wie Deutschland oder Frankreich lieber die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU stärken, als viel in eine Weiterentwicklung der Nato zu investieren. Diese Stimmen sind nun leiser geworden.
Kaum wahrgenommen werden bislang Kritiker, die darauf verweisen, dass die Nato-Staaten nach Vergleichszahlen des Friedensforschungsinstituts Sipri im Jahr 2013 rund 928 Milliarden Dollar für Verteidigung ausgaben, Russland aber nur rund 85 Milliarden Dollar.