Der Nato-Gipfel hatte noch nicht begonnen, da bescherte Enajatullah Barack den 28 Mitgliedstaaten erst einmal eine fundamentale Blamage. Der Mann ist Oberst der afghanischen Armee und war – mangels eines gewählten Präsidenten – mit Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi nach London gereist, um dort eine tragende Rolle zu erfüllen: Er sollte im Rahmen einer Zeremonie die Fahne seines Landes tragen. Doch daraus wurde nichts. Unmittelbar nach der Landung bat der Militär aus Kabul um Asyl auf der Insel.
Der Schritt brüskiert den Gipfel im walisischen Newport, der am Donnerstag mit Beratungen zur Zukunft des Landes am Hindukusch begann. Eigentlich hatten sich Premier David Cameron als Gastgeber und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen auf eine positive Bilanz des Einsatzes gegen den Terror verständigt. Man wolle, so hieß es im Vorfeld, lediglich noch die Unterschrift des gewählten Präsidenten unter das Sicherheitsabkommen mit den USA abwarten.
Dann könne das Bündnis wie geplant bis Ende des Jahres abziehen und die Trainingsmission „Resolute Support“ (Entschlossene Unterstützung) am 1. Januar 2015 mit bis zu 12 000 Soldaten beginnen. „Auch wenn unser Kampfeinsatz zum Jahresende ausläuft, so wird Afghanistan noch weiter unsere Unterstützung brauchen“, sagte Rasmussen gestern. Das Bündnis sei bereit, dabei „seine Rolle“ zu spielen.
„Die Taliban kehren zurück“
Doch immer mehr Beobachter vor Ort und Afghanen selber widersprechen dem Bild, das die Allianz so gerne verbreiten möchte: „Die Taliban kehren zurück. In 32 der 34 Provinzen toben Gefechte, pro Woche sterben 100 Soldaten“, heißt es in einer Analyse des Kabuler Innenministeriums. In den sozialen Netzwerken kursieren Bilder von verlassenen Stellungen der Bundeswehr in der Region Kundus, über denen die Taliban-Fahne weht. „Der Rückzug der von der Nato unterstützten Isaf-Einheiten ist ein Glücksfall für die Terroristen“, sagt jemand, der im militärischen Hauptquartier des Bündnisses im belgischen Mons seinen Dienst tut.
Doch davon ist in den offiziellen Dokumenten, die den 28 Staats- und Regierungschefs der Allianz in Newport vorliegen, keine Rede. Man klammert sich daran, dass die monatelange Auszählung der Wahlzettel für einen neuen Präsidenten im September endlich zu Ende sein dürfte und dann Ashraf Ghani, bisheriger Finanzminister, inthronisiert werden kann, um den im Westen ungeliebten Hamid Karsai abzulösen.
26 Tote bei Selbstmordattentat
Ghani werde, so betont man in Wales, das Sicherheitsabkommen mit den USA (es soll dann auch für Soldaten anderer Staaten gelten) unterschreiben. Das Papier stellt klar, dass ausländische Soldaten sich nicht vor der afghanischen Justiz verantworten müssen, beispielsweise wenn es zivile Opfer gegeben hat. Von einer Unterschrift haben die Nato-Staaten die Trainingsmission abhängig gemacht, mit der sie das Land weiter unterstützen wollen. Die Frage ist, ob sie dazu noch kommen, sollten die Taliban-Terroristen weiter derart ungehindert die Region überlaufen können.
Wenige Stunden vor dem Beginn des Nato-Gipfels kam es zu einem Taliban-Angriff auf den Geheimdienst NDS in der südostafghanischen Stadt Ghasni. Bei dem Selbstmordattentat wurden 26 Menschen getötet und rund 150 weitere verletzt. Bei den Toten handele es sich um alle 19 Taliban-Angreifer, vier Zivilisten und drei Angehörige der Sicherheitskräfte, sagte der Sprecher der Regierung der Provinz Ghasni, Schafik Nang Safi. Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff und forderten die Nato dazu auf, die ausländische „Besatzung“ Afghanistans zu beenden. Mit Informationen der DPa