Exakt 24 Sekunden dauert am Montag der letzte Auftritt von Andrea Nahles als SPD-Parteivorsitzende. „Ich habe mich hier gerade eben im Parteivorstand der SPD verabschiedet, bin zurückgetreten und wollte mich auch bei Ihnen persönlich für die jahrelange gute Zusammenarbeit bedanken“, sagt sie vor dem Willy-Brandt-Haus in die Runde der Journalisten. Und fügt an: „Sie haben ja schon viele Stunden im Willy-Brandt-Haus verbracht. Machen Sie es gut.“ Dann geht sie und wirkt dabei gelöst.
Gerade einmal ein gutes Jahr hatte die 48-jährige aus der Vulkaneifel als erste Frau die SPD geführt. Bis sie aufgrund des mangelnden Rückhalts in der Partei nach den schlechten Wahlergebnissen in Bremen und bei der Europawahl aufgeben musste. Auch als Chefin der SPD-Fraktion im Bundestag tritt sie zurück. Sie kündigte zudem an, ihr Bundestagsmandat niederzulegen, wann, steht allerdings nicht fest.
Wenige Stunden später sind an selber Stelle drei Rednerpulte aufgebaut. Die SPD-Spitze hat sich entschieden, dass ein Trio von stellvertretenden Vorsitzenden die Partei kommissarisch führen soll. Bis zur Wahl eines neuen Chefs übernehmen die Ministerpräsidentinnen von Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig und Malu Dreyer, sowie Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel gemeinsam die Aufgabe.
Malu Dreyer berichtet von einem „sehr emotionalen Vormittag“ im Parteivorstand. Andrea Nahles habe für ihre Abschiedsrede großen Applaus bekommen. Es sei nicht Nahles, die für die ernste Lage der SPD verantwortlich sei, sagt Dreyer. Laut Parteistatut habe sie zusammen mit Schwesig und Schäfer-Gümbel die Aufgabe übernommen, die Zeit des Übergangs zu gestalten.
Manuela Schwesig ergänzt: „Das schließt gleichzeitig aus, dass wir für den Parteivorsitz kandidieren.“
Eine Aussage, die aufhorchen lässt. Hatten doch manche in der Partei gerade Schwesig durchaus entsprechende Ambitionen nachgesagt. Doch Schwesig bekräftigt, dass sie ihre Zukunft weiter als Regierungschefin von Mecklenburg-Vorpommern sieht.
Auch Dreyer sagt, dass sie auf keinen Fall für den regulären Parteivorsitz zur Verfügung steht. Das hatte sie, auch wegen ihrer gesundheitlichen Probleme, bereits früher mehrfach ausgeschlossen. Thorsten Schäfer-Gümbel, als Spitzenkandidat der Hessen-SPD bei drei Landtagswahlen gescheitert, kündigt an, wie geplant im Herbst zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu wechseln.
Das Interims-Trio kündigt an, dass die SPD nach einer Vorstandssitzung am 24. Juni bekanntgeben werde, wie die Nachfolge von Nahles organisiert werden soll. Nach den Regeln der Partei, sagt Schäfer-Gümbel, kann ein regulärer Parteitag aufgrund der Einladungsfristen frühestens im Oktober stattfinden. Aber auch einen außerordentlichen Parteitag schließt er nicht aus. Ursprünglich war ein Parteitag für Dezember vorgesehen.
Ob es künftig überhaupt einen alleinigen Parteivorsitzenden geben wird oder eine Doppelspitze nach Vorbild der Grünen, ist offen. Mehrere prominente Parteimitglieder wie der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig und Bundesaußenminister Heiko Maas haben sich dafür ausgesprochen, dass die SPD künftig von einem Duo geführt wird.
Maas machte sich am Montag vor der Sitzung des Parteivorstands zudem für eine Urwahl der Parteispitze durch die Parteimitglieder stark. „Die Zeit der Hinterzimmer muss endlich vorbei sein“, sagte der Außenminister. Die SPD brauche eine neue Parteispitze, „die eine möglichst breite Unterstützung unserer Mitglieder hat.“
Ein Ende der Großen Koalition ist für Malu Dreyer durch die neue Situation nicht nähergerückt. Der Union sicherte sie zu: „Wir haben uns nach einem Mitgliedervotum entschieden, in die Große Koalition einzugehen, und wir sind vertragstreu.“ Die Revision zur Halbzeit der Koalition – und damit der mögliche Ausstieg – stehe aber auch im Koalitionsvertrag. Auch diese Entscheidung will das kommissarische Führungs-Trio vorbereiten.
Am Dienstag will Nahles sich auch als Vorsitzende von den Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion verabschieden. Ihr Übergangs-Nachfolger soll der Kölner Abgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich werden.
Während die SPD schwer an der ungeliebten Koalition kaut, rief die Union ihren Regierungspartner auf, nicht von der Fahne zu gehen. „Deutschland braucht eine stabile Regierung. Und Europa braucht ein starkes, stabiles Deutschland“, sagte CSU-Chef Markus Söder.
In das gleiche Horn stieß die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. „Wir hoffen sehr, dass die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ihre Entscheidungen so treffen, dass das auch weiterhin möglich ist.“