Ans Sterben denken – undenkbar? Für viele. Sie schweigen. Verdrängen. Oder überdecken ihre Furcht mit scheinbar unbekümmerten Aussagen. Etwa von dem US-Komiker, Regisseur und Schauspieler Woody Allen: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte bloß nicht dabei sein, wenn es passiert.‘‘
Es gibt durchaus Menschen, die sich bewusst mit der Gewissheit des Todes auseinandersetzen. Sie wollen das Sterben, wenn es schon unvermeidlich ist, wenigstens regeln. Kontrollieren. Einfluss nehmen. Am liebsten auch auf das Wie.
Letztlich stellt sich jeder Mensch irgendwann in seinem Leben offen oder insgeheim die Frage: Wie will ich sterben? Die Antwort lautet meistens: Friedlich, vor allem ohne Leiden und am liebsten zu Hause.
Zum Wie gesellt sich also auch die Frage nach dem Wo. Nur sechs Prozent der Deutschen möchten ihre letzte Lebensphase im Krankenhaus verbringen. Dennoch stirbt jeder Zweite in einer Klinik. Für ein würdevolles Sterben zu Hause müsste die ambulante palliative Versorgung weiter ausgebaut werden. So lautet ein Ergebnis innerhalb der Anfang November veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Palliativmedizin.
Zu Hause sterben, umringt von seinen Liebsten, diese Vorstellung äußerte auch der Rentner Helmut V. aus dem nördlichen Unterfranken einst in einem Interview mit dieser Zeitung. Er wollte allerdings keinerlei Reglementierung. „Meine Vorstellung von Erlösung ist die freie Entscheidung darüber, ob man weiterleben möchte oder nicht. Die Möglichkeit, sich irgendwann für einen schmerzfreien Tod entscheiden zu können, macht frei.“ Er wünschte sich ein „todsicheres“ Mittel, abgefüllt in einem Fläschchen, das er sich zu Hause in die Schublade legen möchte für den Fall X. Extra dafür in die Schweiz fahren wollte er nicht.
Auch die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) setzt sich seit ihrer Gründung 1980 „für mehr Freiheit am Lebensende ein“. Sie führt das Selbstbestimmungsrecht an, die Menschenwürde, die auch beim Sterben erhalten werden sollte. Das im September 2009 beschlossene Patientenverfügungsgesetz ist laut DGHS eine wichtige Grundlage gewesen, um den Patientenwillen durchzusetzen. Zuletzt stand die Forderung nach dem ärztlich assistierten Suizid im Vordergrund der Aktivitäten der Organisation mit bundesweit etwa 25 000 Mitgliedern (in Unterfranken sind es rund 260).
Von der am 6. November im Bundestag beschlossenen Neuregelung der Sterbebegleitung beziehungsweise des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung zeigt sich die DGHS-Präsidentin Elke Baezner enttäuscht. Zunehmend bleibe Sterbenskranken, falls sie ihr Leben selbstbestimmt beenden wollen, nur der Weg in die Schweiz.
Für viele Menschen ist die Palliativmedizin die Lösung am Ende ihres Lebenswegs. Auch die DGHS setzt sich für deren Ausbau ein. Die medizinische Sterbebegleitung versteht unter selbstbestimmtem Sterben jedoch nicht die Beihilfe zur Selbsttötung beziehungsweise den ärztlich assistierten Suizid.
„Palliativmedizin kümmert sich um Menschen mit einer weit fortgeschrittenen, nicht mehr heilbaren Krankheit, die große Probleme körperlicher, seelischer oder auch spiritueller Art haben“, beschreibt Dr. Rainer Schäfer, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Palliativmedizin des Juliusspitals in Würzburg, sein Aufgabengebiet. „Palliativmediziner achten mit einem ganzheitlichen Ansatz auf Symptome, Bedürfnisse und Leiden dieser Menschen.“
Zum Wunsch des Zu-Hause-Sterbens meint Schäfer: „Dieses Gefühl bezieht sich nicht nur auf die eignen vier Wände; es kann auch entstehen, wenn man von vertrauten Menschen in einem stimmigen Umfeld umgeben ist – also auch in einem Pflegeheim oder in einer Palliativstation im Krankenhaus.“
Doch nun könnten durch die Neufassung des Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs auch in der bislang ethisch an oberster Stelle stehenden Palliativmedizin mulmige Gefühle aufkommen. Denn der erste Absatz lautet: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Knackpunkt ist das Wort „geschäftsmäßig“. Es bedeutet „auf Wiederholung angelegt“, erläutert der Würzburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Professor Eric Hilgendorf. „Und in Hospizen und Palliativstationen wird tagtäglich, also wiederholt, Sterbehilfe geleistet; dabei kommt es in vielen Fällen zu einer Verkürzung der verbleibenden Lebenszeit.“
Die Politiker hatten bei ihrer fraktionsübergreifenden Diskussion über die Regelung der Sterbebegleitung weniger die Palliativmedizin im Fokus. Vielmehr kommerziell ausgerichtete Vereine, die ihre Unterstützung gegen Geld anbieten. Dazu zählt „Sterbehilfe Deutschland“, deren Vorsitzender der Hamburger Ex-Senator Roger Kusch ist. Oder der deutsche Ableger des Schweizer Vereins „Dignitas“. Aber auch die „Letzte Hilfe“, das Angebot des deutschen Mediziners und Sterbehelfers Uwe-Christian Arnold, sollte blockiert werden.
Der Gesetzesentwurf beziehungsweise Gruppenantrag um die Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD), der mit großer Mehrheit angenommen wurde, wird aber auch andere Ärzte in einen Graubereich drängen. So wird es nicht einfach sein, „den Hospiz- und Palliativbereich künftig aus der Strafbarkeit herauszuhalten“, ist sich Eric Hilgendorf sicher.
Auf den ersten Blick hat sich an der Rechtslage in Deutschland allerdings wenig verändert: Nach wie vor ist Suizid straffrei, ebenso der assistierte Suizid, wenn Menschen ihren Tod, etwa durch die Einnahme eines Medikaments, selbst herbeiführen. Zugelassen sind auch die passive Sterbehilfe (lebensverlängernde medizinische Maßnahmen werden entsprechend dem Patientenwillen nicht eingeleitet oder abgebrochen) sowie die indirekte Sterbehilfe (lebensverkürzend wirkende Schmerztherapie). „Palliativmediziner geben die Medikamente aber sicher nicht in der Absicht, das Leben zu verkürzen, sondern nehmen nur billigend in Kauf, dass das Leben verkürzt werden könnte“, erläutert Rainer Schäfer. Die aktive Sterbehilfe oder die Tötung auf Verlangen stellt dagegen weiterhin einen Straftatbestand dar.
Auf den zweiten Blick erkennt Strafrechtler Hilgendorf jedoch durchaus relevante Straftatbestände. Etwa wenn ein Arzt dem Patienten ein Medikament verschreibt, das bei unsachgemäßer Einnahme zum Tod führen kann. Gemäß dem Wortlaut von § 217 könnte mit Absicht die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt worden sein. Auch Palliativmediziner Schäfer sieht hier das Risiko einer Kriminalisierung und räumt ein, dass Ärzte nun mehr Vorbehalte bei der Verordnung hochwirksamer Medikamente haben könnten.
Ebenso, wenn sie Patienten an eine Morphiumpumpe anschließen, mit der sie die Zufuhr selbst regeln können – was bei einer Überdosis ebenfalls zum Tod führen kann.
Generell steht jedoch laut Schäfer für Palliativmediziner die Erkenntnis im Vordergrund, die auf Untersuchungen aus England beruhen: „Der Einsatz hochpotenter Schmerzmittel am Lebensende führt eher zu einer Lebensverlängerung als zu einer Verkürzung, weil dem Patienten der Stress durch Schmerz oder Atemnot genommen wird.“
Wie wollen wir also sterben? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Es gibt keine Tipps, keine Serviceanleitung. Wichtig ist jedoch, dass jeder für sich nachdenkt, was er braucht, um dem Tod den Schrecken zu nehmen. Dazu zählen zum Beispiel soziale Hilfestellungen wie Palliativmedizin und Hospizangebot, Hinwendung, Zeit. Auch die resignierende Vorstellung eines vorzeitigen Lebensendes steht dann meist nicht mehr bedrohlich im Raum.
„Wenn ein Patient sagt, dass er nicht mehr weiterleben möchte, dann spielt dabei mehr die Angst vor dem Leiden eine Rolle als das Leiden, das wirklich vorhanden ist“, sagt der Neurologe und Psychiater Professor Wolfgang Müllges, Leiter des Klinischen Ethikkomitees der Universität Würzburg, dazu. „Wenn Patienten Wege aufgezeigt werden, wie sie mit einem beeinträchtigten Leben umgehen können, wenn ihnen das Gefühl der Wertlosigkeit genommen wird, nur weil sie gebrechlich oder krank sind, dann wollen die meisten nicht mehr sofort aus dem Leben scheiden.“
Palliativversorgung
Die meisten Deutschen möchten laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung ihre letzte Lebensphase in ihrer gewohnten Umgebung verbringen. Wer eine palliative Versorgung zu Hause in Anspruch nimmt, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu Hause zu sterben, als Menschen, die nicht palliativ versorgt werden.
Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für eine palliativmedizinische Versorgung. Für eine zusätzliche häusliche Krankenpflege oder eine spezialisierte Versorgung durch ein „Palliativ Care Team“ muss eine ärztliche Verordnung vorliegen. Auch bei einer stationären Versorgung im Krankenhaus entstehen bis auf den Eigenanteil (zehn Euro/Tag) keine Kosten. Bei einer Betreuung im Hospiz werden 95 Prozent von der Krankenkasse getragen, fünf Prozent werden durch die Einrichtungen mittels Spenden und Ehrenamt aufgebracht. Weitere Informationen gibt es beim Hausarzt, bei den Krankenkassen oder bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Quelle: Bertelsmann Stiftung