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BENGASI/KAIRO
Nach tödlichem Anschlag wächst Angst vor Islamisten
Nächtlicher Brandanschlag: Das US-Konsulat in der libyschen Hafenstadt Bengasi steht nach einem Angriff aufgebrachter Muslime in Flammen.
Foto: rtr | Nächtlicher Brandanschlag: Das US-Konsulat in der libyschen Hafenstadt Bengasi steht nach einem Angriff aufgebrachter Muslime in Flammen.
Von dpa-Korrespondentin ANNE-BEATRICE CLASMANN
 |  aktualisiert: 12.09.2012 19:33 Uhr

Es sind Bilder wie aus einem Albtraum: Junge Libyer zerren die Leiche von US-Botschafter Chris Stevens aus dem brennenden US-Konsulat in Bengasi. Medienberichten zufolge starb er an einer Rauchvergiftung. Neben Stevens wurden in der Nacht zum Mittwoch in Bengasi drei weitere US-Diplomaten getötet. Ägyptische Islamisten hissten am Abend des 11. September eine schwarze Fahne auf der Mauer der US-Botschaft in Kairo, die sie zu stürmen versuchten. Es ist die Fahne, die auch von El-Kaida-Terroristen im Jemen verwendet wird.

Auslöser der Attacken auf die US-Vertretungen in Libyen und Ägypten ist ein drittklassiger Film mit dem Titel „Innocence of Muslims“ (Unschuld der Muslime), in dem Mohammed, der Prophet des Islam, als Weiberheld und Trottel dargestellt wird. Autor, Regisseur und Produzent des islamfeindlichen Films ist nach Informationen des „Wall Street Journals“ Sam Bacile. Der 52-Jährige habe sowohl die israelische als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Für den rund zwei Stunden langen Film habe er fünf Millionen Dollar (3,9 Millionen Euro) von rund 100 jüdischen Spendern eingesammelt. Bacile wolle seine Sicht zeigen, dass der Islam eine hasserfüllte Religion sei, zitiert das Blatt aus einem Telefoninterview. Ein Trailer zum Film war seit Juli auf YouTube zu sehen. Aufmerksamkeit habe er aber erst erregt, seit sich der als Koranhasser bekannt gewordene Pastor Terry Jones aus Florida für den Film eingesetzt habe. Eine Koran-Verbrennung in der Kirche von Jones hatte im März vergangenen Jahres gewalttätige Proteste von Muslimen ausgelöst.

Die libysche Regierung und das neu gewählte Parlament verurteilten die Attacke von Bengasi als „feiges Verbrechen“ und lobten die Verdienste des getöteten US-Botschafters. Auch die ägyptische Muslimbruderschaft verurteilte die Angriffe. Wer gegen den Film auf die Straße gehe, solle seinen Ärger friedlich zum Ausdruck bringen, mahnte die Organisation an.

Die christliche Minderheit in Ägypten, die seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im vergangenen Jahr über wachsende Diskriminierung klagt, hat nun Angst, erneut zur Zielscheibe militanter Islamisten zu werden. Denn das „Wall Street Journal“ nennt zwar den US-Bürger Sam Becile, der von jüdischen Organisationen Geld eingesammelt haben soll, als Drehbuchautor des Films. Doch in Ägypten macht jetzt das Gerücht die Runde, an der Produktion seien auch koptisch-orthodoxe US-Bürger ägyptischer Herkunft beteiligt gewesen.

Während die Polizei in der ägyptischen Provinzstadt Luxor am Mittwoch zusätzliche Sicherheitskräfte losschickte, um amerikanische Archäologen vor möglichen Übergriffen zu schützen, fordert Schaaban Hreidi Bakir, ein Kommunalpolitiker der Wafd-Partei in Luxor, allen Kopten, die den Islam beleidigten, solle die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Der ägyptische Botschafter müsse aus Washington abgezogen werden, weil die US-Regierung den islamkritischen Film nicht ausdrücklich kritisiert habe.

Es bleibt die Frage, wer die jungen Männer gegen die US-Diplomaten aufgehetzt hat. Schließlich sind die Ausschnitte aus dem Film schon seit einigen Wochen im Netz zu finden. Einen Hinweis lieferte ein Slogan, der von Demonstranten in Kairo gerufen wurde. Sie schrien: „Wir sind alle Abu Jahja al-Libi.“ Wenige Stunden zuvor hatte das Terrornetzwerk El Kaida eine Videobotschaft veröffentlicht, in der es den Tod des Terroristen Al-Libi offiziell bestätigt.

Die Botschaft stammt von El-Kaida-Anführer Eiman al-Sawahiri. Der Ägypter hatte nach dem Tod von Bin Laden im vergangenen Jahr die Führung von El Kaida übernommen. Einige seiner früheren Weggefährten, die unter dem Regime von Präsident Hosni Mubarak in ständiger Angst vor der Polizei lebten, wagen sich jetzt, wo die Muslimbrüder und die Partei der Salafisten den Ton angeben, wieder aus der Deckung.

Proteste mit Todesfolgen

Schon bei früheren Unruhen nach vermeintlichen Schändungen des Korans oder Schmähungen Mohammeds wurden Menschen getötet: Februar 2012: In Afghanistan bringen Soldaten in der US-Basis Bagram Ausgaben des Korans versehentlich zur Entsorgung zu einer Verbrennungsanlage. Es kommt zu schweren Ausschreitungen mit zahlreichen Toten. April 2011: In Afghanistan kommt es zu blutigen Protesten gegen eine Koranverbrennung in den USA. Mindestens 23 Menschen sterben, darunter sieben UN-Mitarbeiter, die der Mob im afghanischen Masar-i-Scharif tötet. Nach Angaben der „New York Times“ hatte der radikale US-Prediger Terry Jones das Buch am 20. März in Florida verbrannt. September 2005: Verheerende Folgen hat die von Muslimen als Schmähung des Propheten angesehene Veröffentlichung von zwölf Mohammed-Karikaturen in Dänemarks größter Zeitung „Jyllands-Posten“. Als andere Medien die Zeichnungen nachdrucken, zünden wütende Demonstranten im Februar 2006 unter anderem in Syrien und im Libanon dänische Vertretungen an. Bei Massenprotesten in mehreren muslimischen Ländern sterben mehr als 150 Menschen. Frühjahr 2005: Ein Bericht des US-Magazins „Newsweek“ über die angebliche Schändung des Korans im Gefangenenlager Guantánamo löst antiamerikanische Proteste aus. Bei tagelangen Unruhen werden in Afghanistan und Pakistan 17 Menschen getötet. Das Magazin hatte berichtet, ein Koran sei die Toilette hinuntergespült worden. Text: dpa

 
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