Vielleicht ist es Lippenstift, mit dem jemand da auf die Mauer vor der Haustür gekritzelt hat. „Er ist schuldig, er wird dafür bezahlen“, steht auf Englisch in roten Buchstaben neben dem Klingelschild in der Via Santa Monaca. Daneben elf flüchtig gemalte Herzen. „Er“, das soll der Mörder von Ashley Olsen (35) sein, die hier in ihrer Wohnung erdrosselt wurde. Vor knapp einer Woche war das.
Seit Tagen berichten italienische Medien über diesen aufsehenerregenden Mordfall in Florenz. Seine Elemente könnten aus einem Kriminalroman stammen. Eine junge Amerikanerin lebt das ausgelassene Leben in der Boheme einer italienischen Kleinstadt und wird Opfer eines bislang ungeklärten Verbrechens. Nicht wenige fühlen sich an den Fall Amanda Knox erinnert, die Amerikanerin, die des gemeinschaftlichen Mordes an der Studentin Meredith Kercher 2007 in der Kleinstadt Perugia beschuldigt wird.
Idyll, Sex und Verbrechen
Auch damals interessierten sich bald internationale Medien für die obskure Mischung aus italienischem Postkartenidyll, Sex und Verbrechen. Sogar der oberste ermittelnde Polizist ist wieder derselbe. Giacinto Profazio leitete auch damals in Perugia die Untersuchungen, jetzt ist er wieder vor Ort. Wird auch der Fall Olsen ein Desaster für die italienische Justiz mit Pannen und nie ganz geklärtem Tathergang wie damals die Affäre Knox? Freunde und Angehörige von Olsen haben diese Sorge bereits geäußert.
Vor ein paar Jahren erst war Ashley Olsen aus Florida in das Künstlerviertel Oltrarno in Florenz gezogen, um ihrem Vater näher zu sein, einem Kunstdozenten. Die junge, bereits einmal geschiedene Frau verkehrte in der Kunstszene der Stadt, sie organisierte Veranstaltungen. Großzügig postete Olsen in den sozialen Netzwerken Fotos aus ihrem Leben als Bohémien. Auch ihr 43 Jahre alter italienischer Freund, ein aufstrebender Künstler, taucht dort auf.
Federico F. war es, der Olsen am Samstag in ihrer Einzimmerwohnung leblos entdeckte. Nackt, nur mit Strümpfen bekleidet lag der Körper der Frau auf dem Boden. Drei Tage hatten F. und Olsen wegen eines Streits nichts voneinander gehört, die Beziehung war kompliziert. Der Freund machte sich schließlich Sorgen. Als er die Wohnung betrat, kam jede Hilfe für Olsen zu spät. Aus Wut, so schreiben die Zeitungen, habe der Mann einen Stuhl zertrümmert. Die Aufmerksamkeit der Ermittler richtete sich sofort auf Federico F., doch sein Alibi hält bislang. „Er“, das muss ein anderer sein.
Artete erotisches Spiel aus?
Die ersten Untersuchungen der Gerichtsmediziner am Körper legen nahe, dass Olsen von ihrem Mörder entweder mit einer Kette oder einem USB-Kabel erdrosselt wurde. Beide Gegenstände lagen in der Nähe des Körpers, der kaum Kratzer oder Spuren von Gewalt aufweist. Olsen hatte vor ihrem Tod offenbar Geschlechtsverkehr, wurde aber nicht vergewaltigt. Die Rede ist von einem erotischen Spiel, das ausgeartet sein könnte. 30 Meter von ihrer Wohnung entfernt fanden die Ermittler einen schwarzen BH, ob er Olsen gehörte, steht nicht fest. Fest steht wohl, das Opfer kannte seinen Mörder.
Das Handy der Amerikanerin, das Hinweise auf den Täter geben könnte, fanden die Polizisten bisher nicht. Stattdessen gehen die Ermittler einer Spur nach, die sich ihnen bei der Sichtung von Bildern mehrerer Überwachungskameras auftat. Gesucht wird nun ein Unbekannter, mit dem Olsen in den Morgenstunden des Freitags nach einem Clubbesuch nach Hause gegangen sein soll. Wer dieser Mann ist und was anschließend passierte, das ist für die Ermittler immer noch ein Rätsel.