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„Mut und Eigenverantwortung“

Das Gespräch führte

Stefan Stahl

 |  aktualisiert: 26.07.2013 19:20 Uhr

Michael Burda gilt als einer der führenden Ökonomen Deutschlands. Wie gefragt der gebürtige Amerikaner ist, lässt sich daran ablesen, dass ihm das Amt eines der wirtschaftlichen Chefberater der Bundesregierung angeboten wurde. Der Wissenschaftler hätte 2003 einer der „Fünf Weisen“ werden können. Auch der Präsidentenposten des renommierten Instituts für Weltwirtschaft in Kiel wurde ihm angetragen. Doch der heute 54-Jährige lehnte ab. Er fühlte sich damals zu jung für diese Aufgaben. Nach wie vor liebt Burda seine Tätigkeit als Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Berliner Humboldt-Uni. Wir sprachen mit ihm über die Lage der USA, das Verhältnis Deutschlands zu seinem Heimatland und die geplante Freihandelszone.

Frage: Herr Burda, Amerika hat sich wirtschaftlich erholt. Dabei stand das Land 2008 am Abgrund. Die Regenerationskraft Ihrer Heimat ist verblüffend. Sind die USA too big to fail, also einfach zu groß, um zu scheitern?

Michael Burda: Alle wirtschaftlichen Indikatoren in den USA sind derzeit positiv. Im Juni wurden in Amerika deutlich mehr Stellen geschaffen als erwartet. Die Arbeitslosenquote liegt jetzt bei 7,6 Prozent, während sie 2010 mit 9,63 Prozent den höchsten Wert nach der vom Hypothekenmarkt ausgehenden Finanzmarktkrise aufwies. Das Land war im Zuge des Platzens der Blase am US-Hypothekenmarkt in die tiefste Rezession der Nachkriegszeit gerutscht. Viele Amerikaner hatten sich übermäßig verschuldet, um die Immobilien-Orgie zu finanzieren.

Nach der Orgie kam Ernüchterung . . .

Burda: Die Ernüchterung zeigte sich daran, dass viele amerikanische Haushalte kräftig sparen mussten. Die Ausgaben für den Konsum gingen massiv zurück. Das Land erreicht jetzt wirtschaftlich wieder das Niveau vor der Krise. Der Konsum kommt in Schwung, wird aber in den nächsten zehn Jahren nicht das Niveau erreichen, das beim Ausbruch der Krise vorlag. Trotzdem zeigt das alles: Die USA sind wirklich too big to fail. Aber die Amerikaner mussten fünf bis sechs Jahre eine harte Rezession über sich ergehen lassen.

Warum konnte die Krise überwunden werden?

Burda: Dass Amerika anders als Japan nicht in eine Dauerkrise geschlittert ist, liegt vor allem daran, dass die US-Regierung es nicht zuließ, dass sich Banken wie etwa in Japan und in Spanien in Zombies verwandeln.

Also in zum Leben erweckte Tote ...

Burda: Genau das ist in Amerika nicht passiert. Das größte Verdienst gebührt hier dem einstigen US-Finanzminister Henry Paulson, der Vertreter der neun größten Banken nach Washington vorgeladen hat und ihnen klarmachte, dass keiner den Raum verlassen dürfe, bis alle die Zwangsrekapitalisierung ihrer Institute durch den Staat unterschrieben haben. Der Staat stieg also in die schwankenden Häuser ein und stützte sie. Selbst Goldman Sachs, die selbstbewussteste Investmentbank der Welt, musste unterschreiben. Wenn eine Bank ins Wanken kommt, kann das fatale Folgen haben. Das zeigte sich an der pleitegegangenen US-Investmentbank Lehman Brothers. Paulson hat daraus die Konsequenzen gezogen. Das war genial. Die Ehre gebührt der damaligen republikanischen Regierung unter George W. Bush.

Aber das allein erklärt nicht die wirtschaftliche Wiedergeburt der USA.

Burda: Um die Regenerationskraft der US-Wirtschaft wirklich zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass in den USA ein hohes Maß an Flexibilität herrscht. Das Wirtschaftssystem ist nicht so reguliert und zum Teil überbürokratisch wie in Deutschland. Als Privatmann kann man dort im Gegensatz zu hier leicht eine Bank gründen. So sind viele neue Kredithäuser entstanden. In einer Bankenkrise gibt es nichts Besseres als das Entstehen neuer unbefleckter Banken. Amerika ist eine viel dynamischere Volkswirtschaft als Deutschland. Amerika häutet sich immer wieder wie eine Schlange. Das zeigt die hohe Zahl an Neugründungen von Unternehmen in den USA. So werden Krisen überwunden.

Licht und Schatten liegen in den USA aber eng beisammen. Das soziale Ungleichgewicht ist noch größer als vor der Krise. Was sagt da der US-Patriot Burda?

Burda: Der Patriot erkennt ganz klar, dass die Chancen, sozial aufzusteigen, geringer sind als vor der Krise. Nach jüngsten Zahlen hat der Großteil der Bürger rund zwölf Prozent weniger Geld zur Verfügung als noch vor fünf Jahren. Das obere Prozent der Einkommensskala verbuchte im gleichen Zeitraum aber elf Prozent mehr Einkommen. Es gilt also in den USA nicht mehr so sehr das alte Prinzip, dass, wer sich anstrengt, auch sozial aufsteigt. Kein Wunder: Die reichsten zehn Prozent der US-Bürger besitzen mehr als 50 Prozent des gesamten Vermögens.

Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz warnt davor, dass mit dem Ende des amerikanischen Aufstiegsmythos die Legitimität des Systems auf dem Spiel steht. Stimmt das?

Burda: Meines Erachtens ist es noch nicht so weit. Der amerikanische Traum, also vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden, ist bei allen zunehmenden sozialen Ungleichgewichten intakt. Meinen Studenten sage ich immer: Die Deutschen sind gut bei Prozessinnovationen, wir Amerikaner sind aber führend bei Produktinnovationen. Wir werden weiter neue Geräte wie das iPhone erfinden und vermarkten, während die Deutschen solche Innovationen 20 Jahre später perfektionieren.

Steht Amerika auch deshalb vor einem spürbaren Aufschwung?

Burda: Ich glaube, dass Amerika vor einem Aufschwung steht. Das könnte Krisenländern wie Spanien das Leben retten, wenn Amerikaner mehr Waren aus diesen Ländern kaufen. Die südeuropäischen Krisenländer brauchen aber vor allem reformfreudige Regierungschefs, wie es in Deutschland Bundeskanzler Gerhard Schröder war. Er hat sich auf dem Altar der Reformen geopfert. Wären diese Reformen ausgeblieben, hätten Deutschland spanische Verhältnisse gedroht.

Nun versprechen sich die Befürworter eines Freihandelsabkommens zwischen den USA und Europa auch positive Effekte für Länder wie Spanien. Nach einer Bertelsmann-Studie könnte dort das Pro-Kopf-Einkommen um 6,6 Prozent steigen, wenn Zölle und Handelshemmnisse wegfallen. Sind Sie für ein solches Abkommen?

Burda: Ich befürworte ein solches Abkommen. Wenn die europäischen Krisenländer fix sind, können sie nach dem Wegfall von Handelshemmnissen viele Güter in die USA exportieren, beileibe nicht nur Käse und Wein. Bei einem solchen Abkommen dürfen aber nicht zu viele Ausnahmen gemacht werden, etwa Extrawürste für die Landwirtschaft.

Die US-Verhandlungsdelegation will mit „einer Tankfüllung“ zum Abschluss kommen. Ist das realistisch?

Burda: Good luck! Viel Glück! Ich glaube das nicht. Ich bin mit einer Deutschen verheiratet und gehe auch mal etwas blauäugig in Verhandlungen mit ihr. Wir Amerikaner sind halt Optimisten. Meine Frau hat aber oft recht, wie sich in Diskussionen herausstellt. Ohne Zuversicht passiert jedoch nichts.

Was können die Europäer von den Amerikanern lernen?

Burda: Mehr Mut und Sinn für Eigenverantwortung, also liberale Tugenden. Ich finde es schade, dass diese Idee in Deutschland nur von einer Partei, der FDP, beansprucht wird. Jeder Bürger müsste eigentlich darauf Wert legen, dass nicht der Staat, sondern er selbst über sein Schicksal entscheidet. Das war die Gründungsidee Amerikas und das ist der Treiber des Wohlstands.

Und was können die Amerikaner von den Europäern lernen?

Burda: Die Amerikaner könnten mehr Gemeinschaftssinn und soziale Verantwortung von den Europäern lernen. In den USA wird zu wenig Geld in Bildung und die Infrastruktur wie in Autobahnen und das Zugsystem investiert. Die bestimmenden Mächte in Amerika lehnen solche notwendigen Investitionen ab, weil sie nur daran denken, dass dadurch die Steuern steigen könnten und sie davon betroffen sind.

Michael Burda

Der Amerikaner Michael Burda wurde 1959 in New Orleans geboren. Es gibt keine Verbindungen zu der deutschen Verlegerfamilie Burda. Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler kam schon 1981 erstmals länger nach Deutschland. Ein Stipendium machte es möglich.

Burda spricht sehr gut Deutsch. Mit seiner deutschen Ehefrau hat er vier Kinder. Der Ökonom spielt klassische Gitarre und tanzt gerne. Burda kennt und schätzt Bayern, auch des Bieres wegen. Der Werdegang von Burda vollzog sich über eine renommierte ökonomische Adresse nach der anderen. Nach dem Studium in den USA an der Harvard University in Cambridge folgten Stationen an der London School of Economics, der US-Notenbank Fed sowie an wichtigen französischen wirtschaftswissenschaftlichen Einrichtungen (Business School von Fontainebleau).

1993 folgte der Ruf als Professor an die Humboldt-Uni in Berlin. Dort forscht und lehrt Burda bis heute. Seit 2011 ist er Vorsitzender des Vereins für „Socialpolitik“, der wichtigsten Vereinigung für Wirtschaftswissenschaftler im deutschsprachigen Raum. TEXT: PDA

 
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