Präsident Mohamed Mursi hat am Montag versucht, in Gesprächen mit Vertretern des Hohen Richterrates die gefährlich eskalierende Staatskrise in Ägypten zu entschärfen.
Seit der Staatschef letzte Woche die Judikative per Dekret bis zur Neuwahl eines Parlaments komplett entmachtet und die Gewaltenteilung aufgehoben hat, sehen sich die Muslimbrüder in zahlreichen Regionen des Landes heftigen Protesten ausgesetzt. Insgesamt 13 ihrer Parteizentralen gingen in Flammen auf.
Der Hohe Richterrat, die Spitzenvertretung von Ägyptens Richter, ist offenbar zu einer Kompromisslösung bereit, obwohl er das Vorgehen Mursis letzte Woche zunächst als „einen beispiellosen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz“ gebrandmarkt hatte. Danach könnten die Mursi-Dekrete in ihrer Gültigkeit auf sogenannte „souveräne Belange“ begrenzt werden, während alle übrigen Entscheidungen der Exekutive wieder der regulären Kontrolle der Gerichte unterstellt würden.
Auf diese Weise wäre dem Kernanliegen Mursis, die Verfassungsgebende Versammlung vor einer Auflösung durch das Verfassungsgericht zu schützen, Rechnung getragen. Gleichzeitig wäre die Macht der Judikative in allen anderen Bereichen wieder hergestellt.
Bereitschaft zum Dialog
Mursi unterstrich noch einmal in einer Erklärung, seine Sondervollmachten seien zeitlich begrenzt und er habe nicht die Absicht „die Macht zu konzentrieren, sondern sie auf ein demokratisch gewähltes Parlament zu übertragen“. Der Präsident bekundete zudem die Bereitschaft, mit allen politischen Kräften des Landes den Dialog zu suchen, „um einen nationalen Konsens für die Verfassung zu erreichen, die der Grundstein für sämtliche moderne Institutionen Ägyptens sein wird“.
Nach Meldungen der staatlichen Zeitung „Al Ahram“ will Mursi offenbar den säkularen Parteien und Kirchen anbieten, die Gesamtzahl der Mandatsträger in der 100-köpfigen Verfassungsgebenden Versammlung zu erhöhen und das Zustimmungsquorum für die einzelnen Artikel auf 67 Prozent fixieren. Das könnte die bisher massive Übermacht von Muslimbrüdern und Salafisten verringern sowie den Zwang zum Kompromiss erhöhen.
Am Wochenende hatten nach den Vertretern der Kirchen, Gewerkschaften und liberalen Parteien auch die letzten nicht-islamistischen Repräsentanten ihr Mandat in der Versammlung aus Protest niedergelegt, sodass sich die Zahl der Zurückgetretenen jetzt auf 22 beläuft. Zur jüngsten Sitzung erschien nur noch knapp die Hälfte der 100 Mandatsträger, was das Plenum beschluss- und handlungsunfähig machte. Nach den neuen Dekreten Mursis muss die Versammlung bis Mitte Februar 2013 einen Verfassungsentwurf vorlegen, über den die Bevölkerung dann per Referendum abstimmt.
Großdemonstration am Dienstag
Für Dienstag haben beide Seiten, Mursi-Anhänger und säkulare Opposition, zu Großdemonstrationen in Kairo aufgerufen. Die Islamisten wollen sich auf dem Gelände vor der Kairo-Universität in Giza treffen. Ihre Gegner versammeln sich auf dem Tahrir-Platz, der auf der anderen Nilseite liegt. Beide Orte sind etwa 30 Minuten Fußweg voneinander entfernt. Auf dem Tahrir-Platz folgten am Montag mehrere Tausend Menschen dem Sarg eines 15-jährigen Aktivisten der Demokratiebewegung, der vor sechs Tagen bei den Unruhen angeschossen wurde und in der Nacht gestorben war.
Der liberale Abgeordnete Amr Hamzawy, der viele Jahre in Berlin an der Freien Universität tätig war, warnte, Ägypten könne in eine Lage hineintaumeln, die sich nicht mehr stabilisieren lasse. Auch in der direkten Umgebung Mursis gibt es offenbar massive Bedenken gegen sein Vorgehen. Am Wochenende waren bereits drei seiner Berater aus Protest zurückgetreten. Justizminister Ahmed Mekki, der sich den ganzen Montag maßgeblich um einen Kompromiss mit der Richterschaft bemühte, räumte ein, der Präsident sei von dem Aufruhr überrascht worden. Es sei ein Fehler gewesen, das Vorhaben nicht zuvor mit der Opposition abzustimmen.