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WASHINGTON
Muellers Sprengsatz
Karl Doemens
Karl Doemens
 |  aktualisiert: 05.04.2019 02:13 Uhr

Im Internet kann man das hochbrisante Enthüllungswerk schon bestellen. Als „Bestseller“ preist der Versender Amazon das 9,20 Dollar teure Taschenbuch mit einem Vorwort des Starjuristen Alan Dershowitz an. „The Mueller Report“ steht in roten und blauen Lettern auf dem Titel. Dahinter sollen 960 Seiten folgen. Am 30. April will der New Yorker Verlag Skyhorse ausliefern. Vielleicht aber auch später. Oder nie. Bislang nämlich haben die Lektoren nicht eine Zeile des Berichts gelesen, der seit Freitagabend die amerikanische Öffentlichkeit in Atem hält. Sie wissen weder, wie umfangreich das Manuskript ist, noch ob es jemals publiziert werden darf. Insgesamt 22 Monate lang hat die Mueller-Untersuchung das Land aufgewühlt und Präsident Donald Trump erregt, der die Arbeit des Sonderermittlers täglich mehrfach als „Hexenjagd“, Verschwörung oder Intrige der Demokraten attackierte. Nun ist die Ermittlung abgeschlossen.

Erbitterter neuer Streit

Ex-FBI-Chef Robert Mueller hat sein schriftliches Fazit an Justizminister William Barr übergeben. Doch ein nun ausbrechender neuer Streit könnte noch erbitterter als die bisherige Auseinandersetzung werden: Es ist der Kampf um die Veröffentlichung und die Deutung des Dokuments. Seit dem Mai 2017 hat die Untersuchung angeblicher Absprachen zwischen dem Trump-Lager und Russland während des US-Wahlkampfes und einer möglichen Behinderung der Aufklärung durch Präsident Donald Trump wie ein Damoklesschwert über dem Weißen Haus geschwebt. Als die akribischen Recherchen des Sonderermittlers und seiner 17 Anwälte am Freitag abgeschlossen werden, befindet sich Donald Trump auf seinem Anwesen in Florida und das politische Washington im Ausnahmezustand.

Reporter belauerten Mueller

Tagelang haben Reporter den 74-jährigen Mueller belauert, wie er im SUV der Marke Subaru Forester bei der Arbeit vorfuhr, das Mittagessen ausfallen ließ und abends mit seiner Frau im Lieblingsrestaurant Risotto mit Jakobsmuscheln bestellte. Doch die tatsächlichen Informationen fallen zunächst extrem mager aus. Der Sonderermittler habe seine Arbeit abgeschlossen, teilte Justizminister Barr nüchtern mit. Er betonte, dass seine Behörde keinerlei Einfluss genommen habe. Kurz darauf wurde bekannt, dass Mueller neben den bereits erfolgten Anklagen von 34 Einzelpersonen und drei Organisationen keine weiteren Verfahren eröffnen wird.

Großes Rätselraten

Barr versicherte, er wolle „soviel Transparenz wie möglich“ herstellen und kündigte an, dem Kongress eine Zusammenfassung „der wichtigsten Schlussfolgerungen“ zu übermitteln. Den Report selber aber will die Trump-Regierung unter Verschluss halten. „Es ist unerlässlich, dass der gesamte Bericht der Öffentlichkeit vorgelegt und die zugrundeliegenden Dokumente und Erkenntnisse dem Kongress übermittelt werden“, protestierten Nancy Pelosi und Chuck Schumer, die Anführer der Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat, postwendend. Seither herrscht das große Rätselraten: Dass Mueller auf ein Verhör des Präsidenten verzichtete und sich mit dessen schriftlicher Aussage zufriedengab, wird in Trumps Umfeld ebenso als Erfolg gewertet wie der Verzicht auf eine Anklage von dessen Sohn Donald Jr.. Dabei hätte es für beides gute Gründe gegeben.

Anrüchige Affäre Trumps

Die Untersuchungen haben nach dem bisherigen Kenntnisstand zutage gefördert, dass Donald Trump im Zentrum einer höchst anrüchigen Affäre um illegale Wahlkampfspenden, Schmutzkampagnen mit russischer Unterstützung und der Verquickung privater und politischer Interessen stand. In seinem direkten Umfeld wurde das Gesetz mit den Füßen getreten: Trumps ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort und sein Ex-Anwalt Michael Cohen müssen demnächst ins Gefängnis, seinem ehemaligen Sicherheitsberater Michael Flynn droht ebenfalls eine Haftstrafe. Nach Aussagen mehrerer Zeugen hat Trump seine Ex-Geliebten mit Schweigegeldzahlungen ruhiggestellt und die Öffentlichkeit darüber belogen, dass er noch während des Präsidentschaftswahlkampfes in Moskau über den Bau eines Trump-Towers verhandelte. Sein Sohn Donald Jr. wiederum initiierte ein Treffen mit einer Kreml-nahen Anwältin, die Material für eine Schmutzkampagne gegen Hillary Clinton liefern sollte. Insgesamt gab es nach Muellers Erkenntnissen während des US-Wahlkampfes und der Regierungsbildung mehr als 100 Kontakte von Trump und seinen Vertrauten mit Russen. So verhandelte Flynn über eine Lockerung der Sanktionen, und Trumps Vertrauter Roger Stone hatte mutmaßlich seine Finger bei der Veröffentlichung der von Russen gestohlenen Clinton-Mails im Spiel. Doch war die entscheidende Frage, ob Mueller eine gezielte Zusammenarbeit von Trump und russischen Offiziellen zur Manipulation der Wahl nachweisen könnte. Das ist ihm offenbar nicht gelungen. „No collusion!“ (Keine Absprachen!) hatte Trump zuletzt im Stakkato getwittert. Am Samstag blieb sein Twitter-Kanal ruhig. Offenbar feierte der Präsident den Erfolg leise. „Guten Morgen, genießen Sie den Tag!“, meldete er sich am Sonntag verdächtig freundlich zurück. Doch das stille Siegesgeheul erscheint verfrüht. Nicht nur die oppositionellen Demokraten wollen von einem Freispruch für Trump nichts wissen. „Das war nur die erste Stufe eines mehrstufigen Prozesses“, argumentiert auch Glenn Kirschner, ein prominenter Ex-Staatsanwalt, der einst mit Mueller zusammenarbeitete. Tatsächlich hat Mueller mehrere Verfahren – unter anderem das wegen der Schweigegeldzahlung an Ex-Porno-Star Stormy Daniels – bereits an andere Staatsanwaltschaften abgetreten, die weiter arbeiten.

Vor allem aber wollen die Demokraten ihre neue Mehrheit im Repräsentantenhaus nutzen, um die Untersuchung mit allen Mitteln fortzuführen und voranzutreiben. „Der Müller-Report befasst sich nur mit möglichen Verbrechen“, sagt Jerry Nadler, der Vorsitzende des Justizausschusses: „Unser verfassungsmäßiger Auftrag ist es, die Herrschaft des Rechts sicherzustellen, und das beinhaltet auch andere Missbräuche von Macht sowie die Behinderung der Justiz.“

Beispielloser Machtkampf

Tatsächlich gibt es für den letztgenannten Vorwurf reichlich Anhaltspunkte. Immerhin begann die ganze Affäre damit, dass Trump den damaligen FBI-Direktor James Comey feuerte, weil dieser ihm keinen Persilschein in den Russland-Ermittlungen ausstellen wollte. Später attackierte und beleidigte Trump mehrfach seinen damaligen Justizminister Jeff Session, weil dieser das Verfahren nicht unterdrückte. Und er drohte indirekt mit der Absetzung von Mueller, wovon ihn seine Berater immerhin abhalten konnten.

Um ihre Arbeit mit weiteren Anhörungen und Untersuchungen möglichst effektiv fortsetzen zu können, brauchen die Demokraten aber Muellers Erkenntnisse.

Deshalb fordern sie die Herausgabe der kompletten Unterlagen des Sonderermittlers. „Wenn der Justizminister irgendwelche Spielchen spielt, werden wir Herrn Mueller vorladen und das Ganze notfalls vor Gericht bringen“, droht Sean Patrick Maloney, ein Mitglied des Geheimdienstausschusses, schon. So ist das Mueller-Drama zwar vorbei. Als nächstes aber steht den USA ein beispielloser Machtkampf zweier Verfassungsorgane bevor. Stoff für ein neues Buch dürfte der auf jeden Fall hergeben.

Robert Mueller       -  Robert Mueller
Foto: Charles Dharapak (AP) | Robert Mueller
 
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