
Er galt schon als Auslaufmodell der Berliner SPD. Als Mann ohne Zukunft, der als enger Vertrauter und „Ziehsohn“ von Klaus Wowereit zu eng mit dessen Politik verbunden ist, um noch aus seinem Schatten treten zu können. Vor zwei Jahren, im Juni 2012, erlebte Michael Müller, der langjährige Chef der Berliner SPD, die größtmögliche Demütigung: Auf einem Parteitag wurde er mit deutlicher Mehrheit abgewählt, die Delegierten hoben den Außenseiter Jan Stöß auf den Schild. Der Vertreter des linken Flügels kündigte einen kritischen Kurs gegenüber dem Regierenden Bürgermeister und die Große Koalition im Roten Rathaus an. Besonders bitter für Müller: Nicht einmal Klaus Wowereit setzte sich damals für ihn ein.
Doch nun hat es Michael Müller, der 49-jährige Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, allen gezeigt. Am 11. Dezember tritt er die Nachfolge von Klaus Wowereit an, der im August seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hat, und zieht als neuer Regierender Bürgermeister in das Rote Rathaus ein.
Müller klar vorne
In einer parteiinternen Urwahl setzte sich der gelernte Bürokaufmann und Drucker aus Tempelhof unerwartet klar und deutlich gegen Parteichef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh durch. Bereits im ersten Wahlgang erhielt Müller satte 59,1 Prozent der Stimmen. Stöß kam auf magere 20,9 Prozent, Saleh nur auf 18,7. Von den 17 200 Mitgliedern hatten sich 11 136 an der Abstimmung beteiligt, das sind 64 Prozent. Das klare Votum der Basis kam selbst für Müller überraschend.
„Dass es so einen großen Vertrauensbeweis gibt, damit habe ich nicht gerechnet“, sagte der designierte Senatschef. „Ich freue mich wahnsinnig, aber ich muss sagen, ich bin ganz platt.“ Er hoffe, dass die SPD dieses eindeutige Votum nutze, um die führende politische Kraft in der Stadt zu bleiben. Ausdrücklich bot er seinen unterlegenen Rivalen die Hand zur Zusammenarbeit an. Auch der scheidende Bürgermeister Klaus Wowereit äußerte sich erfreut, dass mit Müller die Arbeit des rot-schwarzen Senats in „politischer Kontinuität, aber auch mit neuen Akzenten“ fortgesetzt werde. Müller wird nicht nur Regierender Bürgermeister, sondern auch Kultursenator. Im Zuge der Neuwahl wird es zu einer größeren Umbildung des Senats kommen, da auch Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) seinen Rücktritt angekündigt hat.
Den Ausschlag für den klaren Sieg Müllers bei der Urwahl dürfte seine Erfahrung in der Berliner Stadtpolitik gegeben haben. Der 49-Jährige sitzt seit 18 Jahren im Abgeordnetenhaus, war acht Jahre Parteichef und zehn Jahre Fraktionschef, seit drei Jahren steht er an der Spitze des Ressorts für Stadtentwicklung und Umwelt. Der 41-jährige Stöß wie der erst 37-jährige Saleh haben hingegen keinerlei Regierungserfahrung. Müller gilt als enger Vertrauter Wowereits – obwohl er das genaue Gegenteil ist. „Ich gebe zu, der Glamour-Faktor hat noch Luft nach oben“, gab er im Wahlkampf selbstkritisch zu.
Der neue Rathauschef, der so prominente Vorgänger wie Ernst Reuter, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker hat, gilt als ruhig, zurückhaltend, unauffällig und ein wenig bieder – ein solider Arbeiter mit wenig Charisma und Ausstrahlung. Partys sind seine Sache nicht, sein ganzes Leben hat der Vater von zwei Kindern in Tempelhof verbracht, wo er mit seinem Vater eine kleine Druckerei betreibt.
An Herausforderungen fehlt es nicht. Nicht nur das Debakel um den Hauptstadtflughafen wird seine ganze Kraft fordern, sondern auch der nicht abgeschlossene Strukturwandel Berlins. Als seine Hauptaufgabe nannte er es, neue Arbeitsplätze und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Noch immer ist die Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt mit über zehn Prozent überdurchschnittlich hoch, ebenso die Zahl der Hartz-IV-Bezieher und der von Armut betroffenen Kinder. Der rigide Sparkurs der letzten Jahre hat dazu geführt, dass der Sanierungsbedarf in der öffentlichen Infrastruktur gewaltig ist.