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BERLIN
Mit schwerem Gepäck an den Nil
Ägyptischer Präsident Abdel Fattah al-Sisi in Berlin       -  Merkel und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bei einem Besuch in Berlin im Jahr 2015.
Foto: Rainer Jensen, dpa | Merkel und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bei einem Besuch in Berlin im Jahr 2015.
Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 06.03.2017 03:37 Uhr

Die meisten deutschen Politiker, die sich in den letzten beiden Jahren in Kairo blicken ließen, rieben sich nach ihrer Audienz bei Präsident Abdel Fatah al-Sissi verwundert die Augen. Er wünsche sich, dass Ägypten eines Tages so werde wie Deutschland, umgarnte der Ex-Feldmarschall jeden Besucher aus Berlin.

Nicht nur beim Staatschef, auch in der Bevölkerung haben die Deutschen einen guten Ruf. Und so zählt die Reise von Angela Merkel an den Nil für den starken Mann Ägyptens zu seinen bisher wichtigsten außenpolitischen Erfolgen.

Die Kanzlerin trifft am Donnerstagmittag in Kairo ein und fliegt am Freitagmorgen weiter nach Tunis, wo sie Präsident Beji Caid Essebsi trifft und vor dem Parlament eine Rede hält.

Der deutschen Seite geht es bei dem doppelten Kurzbesuch in erster Linie darum, die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Auffanglager für Flüchtlinge auf eigenem Boden lehnt Ägypten genauso ab wie Tunesien, EU-Milliardenhilfen kann Sissi aber dringend gebrauchen. So kursiert in seinen Reden seit einiger Zeit die Zahl von fünf Millionen Flüchtlingen, die Ägypten angeblich versorgen muss. Dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR nur von rund 250 000 Betroffenen weiß, stört den Autokraten nicht.

Ihm kommt es vor allem an, Staatsgäste aus Europa so in Schrecken zu versetzen, dass dies ihre Zahlungsbereitschaft erhöht.

Deutlich mehr Investitionen der deutschen Wirtschaft am Nil dagegen stehen nicht an. Nur wenige Firmenchefs sind in Merkels Delegation dabei, dafür ein halbes Dutzend Verbandsvertreter. Sie wollen in Ägypten die üblichen Beschwerden ihrer Mitglieder loswerden – absurde Bürokratie, allgegenwärtige Korruption und unzureichende Gesetze.

Auch bei dem anderen Dauerstreitthema zwischen Berlin und Kairo, der Arbeit der politischen Stiftungen, zeichnet sich kein Durchbruch ab. Sie wolle das Thema in Kairo ansprechen, erklärte Merkel, die auch mit dem koptischen Papst Tawadros II. und dem islamischen Chefgeistlichen Scheich Ahmed Al-Tayyeb zusammentrifft.

In Berlin heißt es, man habe konkrete Zusagen der ägyptischen Seite. Trotzdem wird um Garantien für eine ungehinderte Arbeit der deutschen Nichtregierungsorganisationen in Ägypten bis zuletzt gefeilscht. Ähnlich kleingeschrieben wird auch das Thema Menschenrechte. Ein Treffen der Kanzlerin mit Vertretern der Zivilgesellschaft soll es zwar geben, im offiziellen Programm jedoch taucht es nicht auf.

Unter Sissi sitzen 60 000 Ägypter als politische Häftlinge hinter Gittern, mehr als je zuvor in der modernen Geschichte des Landes. Folter und Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Unliebsame Kritiker werden systematisch mundtot gemacht, die Zivilgesellschaft Zug um Zug erstickt. Kürzlich wurde sogar das 1993 gegründete Nadeem-Zentrum für Folteropfer geschlossen, ein Schritt, den Hosni Mubarak nie gewagt hat. Die heutigen Zustände seien weitaus schlimmer als unter Mubarak, klagen die örtlichen Bürgerrechtler.

Merkel dagegen betont vor allem die Bedeutung Ägyptens als „stabilisierendes Element“ in der Krisenregion. Angesichts der kommenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland mag sich niemand in Berlin und Brüssel vorstellen, dass neben Libyen, Syrien und Irak auch noch das bevölkerungsreichste Land des Nahen Ostens mit seinen 93 Millionen Einwohnern ins Wanken gerät. Die Freigabe des Wechselkurses für das ägyptische Pfund löste eine beispiellose Inflation aus. Nach den jüngsten Angaben der Nationalen Statistikbehörde sind mindestens 25 Millionen Ägypter bitterarm und 85 Prozent leben in einer sozial schwierigen Lage.

 
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