In Israel herrscht blinde Wut. Bürger und Politiker fordern Vergeltung für den Mord an drei israelischen Jugendlichen, deren Leichen nach 18 Tagen verzweifelter Suche in einem Feld bei Hebron gefunden wurden. Doch trotz der harten Rhetorik reagiert die Regierung vorerst besonnen. Die Frage ist nur, wie lang sie dem Druck von unten und anhaltenden Provokationen aus Gaza widerstehen kann.
Den Fährtensuchern, die den israelischen Soldaten bei der Suchaktion nach drei entführten Schülern halfen, kam die Stelle auf dem gelben Brachacker bei Hebron gleich komisch vor: „Da lagen Büsche, die nicht in der Erde verwurzelt waren, auf einem Haufen Steine“, sagte einer der freiwilligen Helfer. Die Männer vom Geheimdienst mussten nicht lange graben, bevor sie den schrecklichen Fund machten: Unter einer dünnen Erdschicht fanden sie die Leichen der 16 Jahre alten Schüler Gilad Schaer und Naftali Frenkel und des 19 Jahre alten Ejal Jifrach. Sie wollten vor mehr als zwei Wochen von einer Toraschule im Westjordanland per Anhalter nach Hause fahren. Doch zehn Minuten nachdem sie ins Auto des 29 Jahre alten Marwan Kawasme und des 33-jährigen Amar Abu Aischa aus Hebron eingestiegen waren, erkannten sie ihren Fehler. Einer der Jungen rief bei der Polizei an, flüsterte „wir wurden entführt“ ins Handy, doch die Dienststelle nahm den Anruf nicht ernst. Kurz darauf sollen die Entführer eine Pistole auf die Jugendlichen auf dem Rücksitz gerichtet und die Drei erschossen haben. Danach fuhren sie zu dem Acker bei Hebron, verscharrten die Leichen und tauchten unter.
In der größten Militäraktion seit zehn Jahren durchkämmten tausende Soldaten das Areal – Haus für Haus, Höhle für Höhle auf der Suche nach den Vermissten – und lösten so immer mehr Spannungen mit der palästinensischen Zivilbevölkerung aus. Denn hier litten nun Hunderttausende unter einer Ausgangssperre, hörten alle, wie in nächtlichen Razzien rund 450 Verdächtige verhaftet wurden. Immer wieder kam es dabei zu gewaltsamen Zwischenfällen. Bislang starben dabei sechs Palästinenser, darunter auch Jugendliche, die die Soldaten mit Steinen oder Brandsätzen bewarfen. Doch all das könnte nur der Anfang gewesen sein.
Viele Israelis trauerten. Direkt nach Bekanntwerden des Fundes strömten tausende auf die Straßen, hielten spontane Trauerfeiern und zündeten Gedenkkerzen an. Doch gleichzeitig wird der Ruf nach Vergeltung laut. „Für Kindermörder darf es keine Nachsicht geben“, sagte Wirtschaftsminister Naftali Bennett. Es sei die Zeit für Taten, nicht für Worte. Premier Benjamin Netanjahu eröffnete eine Krisensitzung des Kabinetts am Sonntagabend ebenfalls mit kriegerischen Worten: „Unsere Herzen bluten, das ganze Volk weint mit den Familien. Selbst der Teufel ist nicht schlimm genug um das Blut kleiner Kinder zu rächen, und auch nicht das Blut unschuldiger Jugendlicher.“ Er wiederholte die Anschuldigung, die radikal-islamische Hamas habe den Mord begangen: „Die Hamas ist verantwortlich, und die Hamas wird zahlen“, so Netanjahu.
Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte „geschockt“. „Es handelt sich um eine verabscheuenswürdige Tat, für die es keinerlei Entschuldigung geben kann“, erklärte sie. Auch US-Präsident Barack Obama, der britische Premier David Cameron und Frankreichs Präsident François Hollande verurteilten die Tat auf das Schärfste. „Papst Franziskus schließt sich dem unsagbaren Schmerz der Familien an, die von dieser mörderischen Gewalt getroffen wurden“, erklärte unterdessen Vatikan-Sprecher Federico Lombardi.
Die zwei Hauptverdächtigen saßen wiederholt in israelischer Haft. Noch wurden keine handfesten Beweise gegen sie veröffentlicht, doch es ist bekannt, dass sie zeitgleich mit den Jugendlichen von der Bildfläche verschwanden. Und nun führt eine weitere Spur zu ihnen: Der Acker, in dem man die Leichen fand, gehört einem ihrer Verwandten. Israel war die Entführung Anlass, massiv gegen die Infrastruktur der Hamas im Westjordanland vorzugehen: Mehr als die Hälfte der Verhafteten sind Hamas-Führer oder -Anhänger.
Nun sind beide Seiten so polarisiert wie lange nicht mehr. Islamisten schossen verstärkt aus dem Gazastreifen Raketen auf israelische Wohngebiete ab. Allein am Montag gingen 18 Raketen nieder. Israel reagierte mit Luftangriffen. In der Nacht zum Dienstag bombardierten Kampfjets und die Marine 34 Ziele im Gazastreifen. Dabei sollen vier Personen verletzt worden sein. Doch dieses bereits übliche Arsenal der Eskalation genügt manchen nicht mehr: Im Westjordanland und in Jerusalem verübten radikale Siedler erste Racheakte. Schon vor dem Fund der Leichen hatte Netanjahu Anweisung gegeben, den Kampf gegen die Hamas zu intensivieren. In der Nacht verübten israelische Soldaten Sprengstoffanschläge auf die Häuser der zwei Hauptverdächtigen.
Der Raketenbeschuss aus Gaza tut sein Übriges, um die Gemüter anzuheizen. Außenminister Avigdor Lieberman drängte, Gaza wieder zu erobern, was Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri zu der Drohung veranlasste, solch ein Angriff würde für Israel „die Tore der Hölle öffnen“. Trotz der eskalierenden Rhetorik reagierte das Kabinett vorerst besonnen. In der nächtlichen Sitzung wurden keine dramatischen Entschlüsse gefasst. Doch der Druck auf Netanjahu, mit dramatischen Schritten zu reagieren, steigt.