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Mit 31 Jahren Kanzler
Wahlen in Österreich       -  Noch-Bundeskanzler Christian Kern (links) und ÖVP-Kanzlerkandidat und Außenminister Sebastian Kurz
Foto: Hans klaus Techt, dpa | Noch-Bundeskanzler Christian Kern (links) und ÖVP-Kanzlerkandidat und Außenminister Sebastian Kurz
Mariele Schulze-Berndt
 |  aktualisiert: 23.10.2017 03:18 Uhr

Wenn er angegriffen wird, verhärten sich seine Gesichtszüge. Er presst die Lippen zusammen. Die Augen werden klein und schauen in die Ferne, auf einen Punkt X, wo es niemanden gibt, der ihn attackieren kann. In den vielen TV-Duellen, die inzwischen hinter Sebastian Kurz liegen, gab es Dutzende solcher Situationen. Zu Beginn des Wahlkampfes versuchte Kurz noch, die Gegner zu überzeugen und für sich zu gewinnen. Gegen Ende ließ er sie verbissen ausreden. Schläge unter die Gürtellinie teilte er nur selten aus, doch dass Kritik ihn nicht kalt lässt, blieb aufmerksamen Zuschauern nicht verborgen. Die alten ÖVP-Granden fragten sich halblaut, wie krisenfest der 31-Jährige wohl sein werde. Würde er als jüngster Regierungschef in internationalen Konflikten bestehen können? Würde er es schaffen, im Rahmen der im zweiten Halbjahr 2018 bevorstehenden österreichischen EU-Präsidentschaft Fortschritte im Sinne seines Landes zu erzielen? Beide Fragen lassen sich noch nicht beantworten. Aber inzwischen hat Kurz die Wahl gewonnen und die ÖVP zu jahrelang nicht erlebten Höhenflügen gebracht. Bedenken werden jetzt nicht mehr laut, im Gegenteil. Zu hören ist vor allem uneingeschränkte Verehrung. „Sebastian Kurz hat die ÖVP aus dem Tal der Tränen herausgeführt“, sagt der steirische Landeschef Hermann Schützenhöfer, der sein Land zusammen mit der SPÖ regiert, am Wahlabend.

„Er hat jetzt das Sagen, aber er ist gescheit genug, seine großen Entscheidungen mit denen zu besprechen, die ihn auch in schweren Tagen mittragen.“

In der Steiermark hatte die rechtspopulistische FPÖ nach einer missglückten Gemeindereform jahrelang die besten Wahlergebnisse. Kurz gewann hier elf Prozent dazu, auch dadurch, dass er im Wahlkampf mehrere wichtige Veranstaltungen dort abhielt. Jetzt liegt die ÖVP wieder vorn und Schützenhöfer steht stärker hinter ihm denn je, auch wenn ihm im Bund eine schwarz-rote Koalition lieber wäre als eine schwarz-blaue.

Schon als Sechzehnjähriger hatte Kurz versucht, sich in der Jungen Volkspartei zu engagieren und war damals an der Lethargie der Wiener Funktionäre gescheitert. Als braver Sohn eines Ingenieurs und einer Lehrerin aus dem Wiener Bezirk Meidlung, wo er heute mit seiner Freundin wohnt, entwickelte er in der Schule Kinderbetreuung als Geschäftsidee. Als Jurastudent wurde er Chef der Jungen Volkspartei in Wien. Im Wahlkampf 2010 tourte er mit einem sogenannten „Geilomobil“ und halb nackten Mädchen durch die Stadt: „Schwarz ist geil“, war der Slogan. Darüber möchte er jetzt nicht mehr sprechen, heißt es in Medienkreisen.

Immerhin kam er mit der Aktion in die Öffentlichkeit. Wann Kurz beschloss, Kanzler zu werden, weiß man nicht. Als Vorsitzender der Jungen Volkspartei schuf er sich ein Netzwerk, das in alle ÖVP-Ministerien und Parteigliederungen reicht, und als begabter Kommunikator gelang es ihm, sich zur letzten Hoffnung der dahinsiechenden ÖVP aufzubauen. Es gibt interne Papiere, die beweisen, dass Kurz seit Anfang 2016 das Amt des Parteichef anstrebte und am Stuhl des Amtsinhabers Reinhold Mitterlehner sägte. Am 10. Mai 2017 gab Mitterlehner entnervt auf. Am 14. Mai beendete Kurz die Koalition mit der SPÖ.

2011 hatte der damalige Parteichef und Außenminister Michael Spindelegger den „intelligenten und unternehmungslustigen“ Kurz zum Integrationsstaatssekretär gemacht. Bis der ehrgeizige Nachwuchspolitiker 2013 Außenminister wurde, war es dann kein weiter Weg mehr. Er habe schon früher zu Flüchtlingen einen „realitätsnahen Zugang statt eines romantischen, aber nie einen ablehnenden“ gehabt, sagt Kurz einmal. Seine Eltern waren in der Bosnienkrise in der Flüchtlingsbetreuung aktiv.

Die Flüchtlingsfrage garantierte ihm den Wahlsieg am Sonntag. Er und seine Liste präsentierten im Wahlkampf die langjährigen FPÖ-Forderungen in der Flüchtlingspolitik in weich gespülter Version und ohne Aggressionen. Die frühere österreichische Außenministerin Ursula Plassnik, inzwischen Botschafterin in der Schweiz, urteilt: „Er ist ein Symbol der Erneuerung. Nicht unbedingt rechts, sondern eher populistisch.“

Das zeigt auch seine schnelle Meinungsänderung in der Flüchtlingspolitik. Noch im September 2015 war Kurz, ebenso wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein Anhänger der Willkommenskultur gewesen. Im Februar 2015 hatte er ein auch in Deutschland gelobtes Islamgesetz durchs Parlament gebracht, das die Finanzierung österreichischer Moscheen durch die türkische Religionsbehörde stoppen sollte. Dass Kurz damals sagte: „Der Islam gehört zu Österreich“ hielt ihm der rechtspopulistische FPÖ-Chef Strache noch in diesem Wahlkampf vor. Ab 2016 trieb die veränderte gesellschaftliche Stimmung und das ungarische Vorbild den Außenminister immer weiter in flüchtlingskritische Positionen. Er brüstet sich, die Westbalkanroute geschlossen zu haben und kritisiert das Türkei-Abkommen der EU. Er grenzte sich immer stärker gegen die flüchtlingsfreundliche Politik der deutschen Bundeskanzlerin ab.

Die Flüchtlingspolitik dominierte auch seine Wahlkampagne. Nach der Westbalkanroute will er 2017 die Mittelmeerroute schließen. Flüchtlinge aus Afrika sollen außerhalb der EU in „Rescue Centern“ kaserniert werden. Eine zweite Forderung ist der Stopp der Zuwanderung in die Sozialsysteme. Darunter ist zu verstehen, dass viele Flüchtlinge und anerkannte Asylbewerber Leistungen aus Steuergeldern beziehen.

 
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