Mit stockender Stimme erzählt die junge Frau, wie sie von einem Mann mit dessen Gürtel geschlagen wurde. Wie er sie „zwei oder drei Mal pro Nacht“ verkauft hat. Wie Männer sie in einem „Vergewaltigungshaus“ zum Sex gezwungen haben. Damals lebte sie in der mittelenglischen Stadt Telford, war erst 14 Jahre alt, eingeschüchtert und verunsichert. Heute gehört die Britin, die anonym bleiben will, zu einer Gruppe Dutzender Frauen, die den Mut haben, an die Öffentlichkeit zu gehen. Seit Tagen berichten diese von Gruppenvergewaltigungen, erzwungenen Abtreibungen und Drohungen, von Ausbeutung und Gewalt. Erneut erschüttert ein Missbrauchsskandal die Insel.
Ein organisiertes Netzwerk pädophiler Täter
In Telford in der Grafschaft Shropshire sollen seit den 80er Jahren bis zu tausend Mädchen Opfer eines Pädophilen-Rings geworden sein, enthüllte die Zeitung „Sunday Mirror“ kürzlich. Dahinter stecke dem Bericht zufolge ein organisiertes Netzwerk pädophiler Täter, oft asiatischer Herkunft, die weiße Jugendliche insbesondere aus prekären Verhältnissen im Visier gehabt hätten. Einige der Mädchen seien sogar ermordet worden.
Der Bericht sorgte für Empörung im Königreich – ebenso wie einige Reaktionen der Behörden. So bezeichnete der zuständige Polizeichef Tom Harding das geschilderte Ausmaß des sexuellen Missbrauchs als „sensationsheischend“. Er denke nicht, dass Telford „schlimmer ist als irgendein anderer Ort in England oder Wales“.
Doch die britische Regierung zeigte sich alarmiert und kündigte eine offizielle Untersuchung an. Seitdem melden sich immer mehr Frauen zu Wort. Ihr Postfach werde „überschwemmt“ mit Nachrichten von Frauen, die ihre schrecklichen Erfahrungen schildern, sagte die konservative Abgeordnete Lucy Allan. Sie vertritt den Wahlkreis in den West Midlands und spricht zwar nicht von bis zu tausend, aber von Hunderten betroffenen Mädchen. Die Polizei in Telford ging dagegen von etwa 46 jungen Menschen aus, die entweder sexuell ausgebeutet worden seien oder Gefahr liefen, Opfer zu werden.
Haben wieder einmal die Behörden versagt? Laut „Sunday Mirror“ hätten Beamte die Einschätzung abgegeben, dass der Sex „in den meisten Fällen einvernehmlich“ stattgefunden habe. Einige der missbrauchten Minderjährigen seien als „Prostituierte“ abgestempelt worden. Obwohl die Parlamentarierin Lucy Allan bereits vor zwei Jahren Ermittlungen gefordert hatte, ist damals nichts geschehen: Die örtlichen Behörden sahen keinen Handlungsbedarf.
Seit Jahren wird Großbritannien regelmäßig von Missbrauchsskandalen erschüttert. Es traf die Entertainmentbranche genauso wie die Sportwelt, doch einer der abgründigsten Fälle passierte im nordenglischen Rotherham, wo von 1997 bis 2013 rund 1400 Kinder Opfer von Sexualverbrechern, überwiegend südasiatischen Einwanderern, wurden. Die Behörden ignorierten jahrelang Hinweise, auch weil die Opfer vorwiegend aus sozial schwachen Milieus stammten. Dass die Täter nicht früher zur Verantwortung gezogen wurden, lag nicht nur daran, dass die Kinder zum Stillschweigen gebracht oder psychisch von älteren Männern zu Sklaven gemacht wurden. Selbst wenn sie sich jemandem anvertrauten, stießen sie auf Unglauben. Der Untersuchungsbericht ging damals zudem davon aus, dass auch die Herkunft und Religion der Männer eine Rolle spielten. Die Sorge, als rassistisch oder befangen zu gelten, wenn sie gegen die nach außen unbescholtenen Familienväter mit Wurzeln in Pakistan vorgegangen wären, führte dazu, dass Behörden oft nicht genauer nachfragten.
Hätten Behörden die Opfer schützen können?
Laut eines im März 2015 veröffentlichten Berichts einer Kinderschutz-Kommission wurden auch in der Grafschaft Oxfordshire 16 Jahre lang etwa 400 minderjährige Mädchen Opfer organisierter Banden mit meist pakistanischem Einwanderungshintergrund. Die Kinder, viele lebten in staatlichen Heimen, wurden unter anderem vergewaltigt, an andere Banden verkauft und gezwungen, Drogen zu nehmen. Obwohl sich manche Opfer an Sozialarbeiter oder die Polizei wandten, blieben die Anzeigen folgenlos. Dem Bericht zufolge gab es eine „professionelle Toleranz“ dafür, dass Minderjährige mit älteren Männern schliefen. Zudem wurden die Mädchen häufig als „frühreif und schwierig“ statt als schutzbedürftig betrachtet.
Experten erkennen etliche Parallelen zwischen den Fällen. Die eingeleitete Untersuchung soll nun klären, wie die Behörden die Opfer hätten schützen können. Es gehe, so hieß es aus dem Innenministerium, auch um „Lektionen für die Zukunft“. Wieder einmal.