Die Betroffenheit war groß. Schnelle, großzügige und unbürokratische Hilfe versprach die Bundesregierung allen Betroffenen, als im Frühjahr 2010 Berichte über den massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern bekannt wurden. Die Ministerinnen Kristina Schröder (Jugend und Familie), Annette Schavan (Bildung) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Justiz) richteten einen runden Tisch ein, dem auch Opfer- und Familienverbände angehörten und der eine umfangreiche Liste an Vorschlägen erarbeitete, wie den Opfern am besten geholfen werden könnte, die Regierung ernannte die frühere Familienministerin Christine Bergmann (SPD) zur Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs.
Drei Jahre später ist die Ernüchterung groß. „Betroffene befinden sich in einem Vakuum aus Abwarten und Schweigen, sie sind zu Recht enttäuscht und frustriert, dass trotz der guten Empfehlungen des runden Tisches bei ihnen bis heute nichts angekommen ist“, klagt Johannes-Wilhelm Rörig, einst Beamter im Familienministerium, seit Dezember 2011 als Nachfolger von Christine Bergmann Beauftragter der Bundesregierung. Es gebe nach wie vor große Versäumnisse gegenüber den Betroffenen, weitere Verzögerungen seien den Opfern sexueller Gewalt „nicht mehr zumutbar“, sagte Rörig am Mittwoch in Berlin, wo die Mitglieder des runden Tisches noch einmal zusammenkamen, um Bilanz zu ziehen, was aus den Vorschlägen und Handlungsempfehlungen des Gremiums geworden ist.
Verlängerung der Verjährungsfrist
Als Anwalt der Opfer machte Rörig gegenüber den beiden Ministerinnen Kristina Schröder und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie der Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen in Vertretung der zurückgetretenen Annette Schavan klar, dass er mit der Arbeit der Bundesregierung äußerst unzufrieden ist. Von den Vorschlägen des runden Tisches – Verlängerung der Verjährungsfristen, Ausbau der Therapieangebote, Verabschiedung eines Opferentschädigungsgesetzes und Einrichtung eines Hilfsfonds – sei nichts in die Tat umgesetzt worden.
So existiert der Hilfsfonds von 100 Millionen Euro, der Missbrauchsopfern unbürokratisch helfen soll, wenn etwa von der Krankenkasse keine Therapien bezahlt werden, bislang ausschließlich auf dem Papier, da zwar der Bund seinen Anteil von 50 Millionen Euro aufgebracht hat, nicht jedoch die Länder. Lediglich Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben bislang Mittel zur Verfügung gestellt. Familienministerin Schröder plädierte nun dafür, dass der Bund nicht länger auf die Länder wartet und seinen Anteil unverzüglich zur Verfügung stelle. Es müsse alles dafür getan werden, dass die Hilfen nicht länger blockiert würden.
Schröder wie Leutheusser-Schnarrenberger sprachen sich auch ausdrücklich dafür aus, dass das Gesetz zur Stärkung der Rechte der Opfer, das unter anderem eine Verlängerung der Verjährungsfristen von bislang drei auf zukünftig 30 Jahre vorsieht, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Doch die Chancen dafür stehen schlecht. Seit 20 Monaten bereits schmort der Gesetzentwurf der Justizministerin im Rechtsausschuss des Bundestags, trotz mehrfacher Aufforderung der Oppositionsparteien hat die schwarz-gelbe Koalition bislang noch kein einziges Mal über den Entwurf beraten. Bis zur Wahl stehen nur noch einige wenige Sitzungswochen auf dem Programm; wird das Gesetz bis dahin nicht verabschiedet, verfällt der Entwurf und muss von der neuen Regierung nach der Wahl neu eingebracht werden.
Bekenntnis zur Verantwortung
Gemeinsam bekannten sich die Ministerinnen Schröder und Leutheusser-Schnarrenberger sowie die Staatssekretärin Quennet-Thielen zu der Verantwortung der Bundesregierung, Kinder und Jugendliche vor sexuellem Missbrauch zu schützen und Opfern sexueller Gewalt Hilfe und Unterstützung zu geben. So habe das Forschungsressort 32 Millionen Euro für die Forschung zur Verfügung gestellt. Das aber ist für den Unabhängigen Beauftragten wie für die Betroffenen zu wenig. So kritisierte Rörig: „Die Öffentlichkeit und wir müssen aufpassen, dass hohle Erbsen nicht zu goldenen Eiern erklärt werden und am Ende als glänzende Goldbarren erscheinen.“