Die neue Methode der Menschenschmuggler, Flüchtlinge im Meer auf führerlosen Schiffen zurückzulassen, hat Empörung ausgelöst und den Ruf nach Konsequenzen laut werden lassen. Diese Taktiken erforderten auch neue Antworten, sagten die Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft und der Bundespolizeigewerkschaft DPolG, Rainer Wendt und Ernst Walter. Das jetzige Verfahren sei „völlig verfehlt“. Auch Grünen-Chefin Simone Peter forderte die EU angesichts der Tragödien auf, „ihre grausame Abschottungspolitik“ zu beenden.
Ein altes Schiff für einige Hunderttausend Euro kaufen, Millionen kassieren – für die Schleuser lohnt sich das Geschäft. Zwischen 4000 und 8000 Dollar hätten sie für die Überfahrt auf dem fast 50 Jahre alten Viehtransporter „Ezadeen“ bezahlt, berichteten einige der 360 Flüchtlinge den italienischen Behörden. Sie erreichten am Samstag den Hafen der süditalienischen Stadt Corigliano Calabro und wurden in Aufnahmelager gebracht. Die Flüchtlinge waren von den Schmugglern auf hoher See im Stich gelassen und von der Küstenwache gerettet worden.
Bilder aus dem Innern des Schiffs, das unter der Flagge Sierra Leones fuhr, lösten unterdessen neue Empörung aus. Mit dünnen Decken, ohne Nahrung und Strom mussten die Menschen laut italienischen Medien tagelang in den Viehboxen unter Deck ausharren. Die Migranten berichteten, die Schleuser hätten während der Fahrt ihre Gesichter stets verhüllt, um anschließend unerkannt entkommen zu können.
Die Rettung der „Ezadeen“ war der zweite derartige Vorfall innerhalb weniger Tage, erst am Mittwoch hatte die Küstenwache fast 800 Migranten auf dem führerlosen Frachter „Blue Sky M“ gerettet, der mit Autopilot auf die felsige Küste Italiens zusteuerte. Seit September sei ein Trend zum Einsatz von Frachtschiffen zu beobachten, um „die Zahl der Flüchtlinge auf den Booten zu erhöhen“, sagte Carlotta Sami, die Sprecherin der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR für Südeuropa, „La Repubblica“. Mit dem Ende des italienischen Rettungseinsatzes „Mare Nostrum“ wachse der Druck auf die Türkei und Griechenland.
Wendt nannte es einen großen Fehler, dass „Mare Nostrum“ vom Einsatz „Triton“ abgelöst wurde, der von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert wird. Nun werde den „Schleusern das ganze Mittelmeer überlassen, und nur in Küstennähe wird Europa aktiv“, sagte er. „Die Europäische Union wäre gut beraten, in den (Mittelmeer-)Anrainerstaaten mit Verhandlungen, Anreizen und Beratung dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge möglichst gar nicht erst diese Schrottkähne besteigen können.“ Der Schweizer Menschenrechtler Jean Ziegler nannte die europäische Asylpolitik „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Italiens Küstenwache hatte die führerlose „Ezadeen“ am Donnerstag entdeckt. In einer dramatischen Rettungsaktion seilten sich die Einsatzkräfte von einem Helikopter auf das Schiff ab. „Die Frachter müssten eigentlich sicherer sein als die kleinen Boote“, erklärte Sami. „Aber es handelt sich um alte Schiffe ohne elektronische Ausrüstung oder Radar. Das erhöht das Risiko von Tragödien.“