Als ob er auch noch dafür Zeit hätte, ausgerechnet jetzt, da die Sondierungsgespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition in ihre letzte und entscheidende Phase gehen.
Doch Peter Altmaier lässt sich nicht anmerken, dass er in diesem Augenblick eigentlich ganz wo anders viel dringender gebraucht wird. Denn weil der Kanzleramtsminister seit der Wahl seines Parteifreundes Wolfgang Schäuble zum Bundestagspräsidenten gleichzeitig auch amtierender Finanzminister ist, muss er die Ergebnisse der Steuerschätzung kommentieren. Dies gehört nun einmal zum Job des obersten Kassenwartes der Nation.
Doch der stets gut gelaunte Saarländer weiß auch diesen Auftritt in seinem Sinne zu nutzen. Routiniert referiert er vor der versammelten Hauptstadtpresse die Zahlen („liegen im Rahmen der bisherigen Erwartungen“) und verspricht, am Kurs seines Vorgängers festzuhalten („die Einhaltung der Schuldenbremse ist gewährleistet“).
Dann allerdings folgt ein Seitenhieb auf die Jamaika-Sondierer, die in den einzelnen Arbeitsgruppen bereits ihre milliardenschweren Wünsche zu Papier bringen: „Der zusätzliche Spielraum ist begrenzt.“ Man müsse „Prioritäten“ setzen. „Die neue Regierung wird die Bäume nicht in den Himmel wachsen lassen können.“ Eine Mahnung, die ihre Wirkung nicht verfehlt.
Schon wegen seiner Größe (1,86 Meter) und seiner Leibesfülle (um die 130 Kilogramm) ist der 59-jährige Altmaier in Berlin unübersehbar. Aber auch politisch gehört er längst zu den Schwergewichten der CDU. In seinem Büro im Kanzleramt laufen seit vier Jahren alle entscheidenden Fäden der Regierungsarbeit zusammen, kein Gesetzentwurf kommt ohne seine Zustimmung auf die Tagesordnung des Bundeskabinetts, wenn es zwischen den Resorts Unstimmigkeiten gibt, spricht er das letzte Wort.
In diesen Tagen ist sein Verhandlungsgeschick, das seit seiner Zeit als Geschäftsführer der Unionsfraktion von 2009 bis 2012 einen legendären Ruf genießt, besonders gefragt. Damals war es sein Job, aufmüpfige Abgeordnete auf Regierungslinie zu bringen, was ihm stets gelang, notfalls mit selbst gekochten Menüs in seiner Berliner Altbauwohnung.
So einfach wie damals ist es in diesen Tagen jedoch nicht. Als Chefunterhändler von CDU-Chefin Angela Merkel muss er in den Sondierungen zusammenfügen, was selbst wenige Tage vor dem geplanten Abschluss in der Nacht von Donnerstag auf Freitag (noch) nicht zusammenpassen will, und die noch immer störrischen Verhandlungspartner auf eine gemeinsame Linie bringen.
Dass Merkels Mann für alle Fälle dabei trotz seines stets heiteren Gemüts durchaus hartnäckig auftreten kann und wenig zimperlich ist, bekamen, wie Beobachter erzählen, erst jüngst die beiden CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet und Stanislaw Tillich zu spüren.
Weil der Nordrhein-Westfale und der Sachse die Forderung der Grünen nach einem Kohleausstieg ablehnten, knöpfte sich Altmaier im Auftrag seiner Chefin die beiden in einem Nebenraum vor – Tillich sei danach ziemlich entrüstet gewesen, wird erzählt. 1994 zog der Jurist Altmaier, der bei der EU-Kommission in Brüssel arbeitete, erstmals in den Bundestag ein und gehörte rasch zu den „jungen Wilden“, die den Mut hatten, gegen CDU-Kanzler Helmut Kohl aufzubegehren und seinen Rücktritt zu fordern.
Zudem nahm er an den Treffen der argwöhnisch beäugten „Pizza-Connection“ teil, wo erste Kontakte zwischen der Union und den Grünen geknüpft wurden.
Davon profitiert er bis heute. Nach dem CDU-Parteispendenskandal 1999 stand er treu an der Seite der neuen CDU-Chefin Angela Merkel und machte nach deren Wahl zur Kanzlerin als Teil der „Boygroup“ Karriere, erst Staatssekretär im Innenministerium von 2005 bis 2009, dann Geschäftsführer der Unionsfraktion bis Mai 2012, schließlich Umweltminister und seit Dezember 2013 Kanzleramtsminister.
Als ihm der damalige Bundespräsident Joachim Gauck die Ernennungsurkunde überreichte, sagte er mit einer Portion Mitgefühl: „Sie bekommen immer die schwierigen Aufgaben.“
An der Seite Merkels machte sich der bekennende Junggeselle Altmaier unentbehrlich. Stets loyal, bienenfleißig und gleichzeitig mit einer stoischen Ruhe ausgestattet, die ihn selbst in der größten Hektik nicht verlässt, zog er hinter den Kulissen die Strippen, um seiner Chefin den Rücken frei zu halten. Die wiederum setzte auf ihre Allzweckwaffe, wenn es lichterloh brannte.
So wurde 2016 Altmaier – und nicht Innenminister Thomas de Maiziere – zum Koordinator der Bundesregierung für die Flüchtlingspolitik ernannt, in diesem Jahr bekam er – und nicht CDU-Generalsekretär Peter Tauber – den Auftrag, das gemeinsame Wahlprogramm mit der CSU auszuarbeiten. Die eine wie die andere Zusatzaufgabe erledigte er zur Zufriedenheit Merkels.
Nun braucht sie ihn wieder. Und erneut ist Altmaier als wandelnder Vermittlungsausschuss in seinem Element, redet, argumentiert, lockt mit Versprechungen, dämpft Erwartungen, zeigt Verständnis, sucht Kompromisse und kämpft um Lösungen.
Auf ihn kommt es an, zumal FDP und Grüne den Druck auf die Union erhöhen und konkrete Zugeständnisse bei den unverändert strittigen Themen wie der Flüchtlingspolitik, dem Klimaschutz oder dem Mieterschutz fordern.
Altmaiers Optimismus scheint dabei grenzenlos zu sein, er setzt auf eine Einigung, gemäß seiner zu Beginn der Sondierung ausgerufenen Devise: „Wenn man will, dass Gespräche gelingen, sollte man nicht übers Scheitern reden.“