Es hätte das harmonische Tete-a-Tete zweier Länder und deren Regierenden werden sollen, in das sich mit Wucht ein Drittes einlud: Nach der dramatischen Eskalation der Gewalt in der Ukraine widmeten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande einen großen Teil ihrer gemeinsamen Pressekonferenz zum gestrigen deutsch-französischen Ministerrat der Reaktion auf den sich zuspitzenden Konflikt. Beide setzten sich für einen sofortigen Stopp der Gewalt und Sanktionen gegen die Verantwortlichen ein. Auch wenn das allein nicht reiche, wie Merkel sagte: „Wir sind der gemeinsamen Auffassung, dass nur ein politischer Dialog Fortschritte bringen kann.“
Einigkeit und Annäherung in möglichst vielen Bereichen – das war das Signal, das von diesem 16. Gipfeltreffen der jeweiligen Kabinette beider Länder mit insgesamt 40 Ministern ausgehen sollte. Alle Ressorts hatten seit Monaten gemeinsame Initiativen vorbereitet, ob im Bereich der Arbeits-, der Innen-, Kultur- oder der Rechtspolitik. „Ich kann das jetzt gar nicht alles aufzählen“, illustrierte Merkel den Umfang der Projekte. Hollande an ihrer Seite nickte zur Bekräftigung, suchte lächelnd ihren Blick. Vorbei die Zeiten, als man lieber betonte, wo man sich gegen den anderen durchgesetzt hatte.
Im Jahr 2003 anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages eingeführt, dienen diese Ministerkonsultationen, die eigentlich halbjährlich stattfinden sollen, der besseren Abstimmung und Zusammenarbeit – und eben der Sichtbarmachung dieser guten Absichten. Noch vor den Europawahlen im Mai will man gemeinsam die umstrittene Finanztransaktionssteuer durchsetzen. „Das wäre für die Menschen in unseren Ländern ein wichtiges Signal“, erklärte Merkel.
Merkel will mit Hollande reisen
Auf ein EU-weites Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 auf mindestens 27 Prozent zu heben, verständigte man sich ebenso wie auf eine deutsch-französische Plattform für industrielle und technologische Partnerschaften, unterstützt von den Energieagenturen. Die Energiewende, die in Frankreich „Energie-Übergang“ heißt, will man irgendwie gemeinsam meistern, auch wenn der deutsche Atomausstieg in Frankreich irritierte, wo man lediglich eine Reduzierung des Atomstromanteils bis 2025 von 75 auf 50 Prozent vorsieht. Von seiner Idee einer Art „Airbus der Energie“ als einem binationalen Unternehmen, mit dem er im Januar nicht nur die Franzosen, sondern auch Berlin überrascht hatte, nahm Hollande gestern selbst Abstand.
Zu den weiter angedachten Projekten gehören eine Annäherung bei der Unternehmensbesteuerung, mehr Austausch bei der Ausbildung junger Leute oder der Vorschlag eines „industriellen Paktes“ auf EU-Ebene. In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurden gemeinsame Reisen beschlossen, zunächst nach Georgien und Moldawien, dann nach Tunesien – der Außenminister wohlgemerkt. „Wir müssen mal überlegen, sehr geehrter Präsident, lieber François, wo wir gemeinsam hinfahren können“, wagte sich Merkel vor, erneut bestärkt durch das wohlwollende Lächeln ihres Sitznachbarn.
Neben gemeinsamen Positionen vor dem EU-Afrika-Gipfel im April sollen erstmals 250 Soldaten der insgesamt 6000 Mann zählenden Deutsch-Französischen Brigade im Rahmen der EU-Mission in Mali eingesetzt werden. Genau 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges habe das „für mich und uns großen symbolischen Wert“, erklärte Merkel. Auch wenn die Europapolitik oft den Eindruck vermittle, es gehe vor allem um Streitigkeiten, so sei sie doch stolz, dass 500 Millionen EU-Bürger über viele Freiheiten verfügten, die Menschen in anderen Teilen der Erde versagt blieben. Eine Aussage, die mit Blick auf die Ukraine brennende Aktualität erhielt.