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Merkel muss in Athen-Krise liefern
dpa
 |  aktualisiert: 12.08.2015 19:25 Uhr

Lange weg war die Kanzlerin nicht, gerade mal zwei Wochen, und ohnehin darf man sich Angela Merkel auch in den Ferien nicht als untätig vorstellen. Nun ist sie zurück in Berlin, erstmals leitete sie am Mittwoch wieder die Sitzung ihres Kabinetts. Als ob die Griechenland-Krise nur auf die Kanzlerin gewartet hätte: Nach kurzer Verschnaufpause ist auch das heikle Thema wieder da. Nach dem Urlaub ist wie vor dem Urlaub.

Das dritte Hilfspaket für Griechenland, das es eigentlich gar nicht geben sollte, wird voraussichtlich am nächsten Dienstag durch den Bundestag gebracht werden. Am Mittwoch fliegen Merkel und ihr halbes Kabinett nach Brasilien – die Zeit drängt. Sollte sich die Prüfung der Vereinbarung hinziehen, schließt Berlin auch eine kurzfristige Brückenfinanzierung nicht aus.

Für Schäuble Sylter Lesestoff

Als am Dienstag aus Athen eine Einigung mit den Geldgebern über die Bedingungen für die 86-Milliarden-Hilfe gemeldet wurde, überwog in Berlin zunächst die Skepsis.

Ein Telefonat Merkels mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras soll eher unharmonisch verlaufen sein, die Atmosphäre wurde in Athen als „nicht sehr warm“ und lautstark beschrieben, wovon Merkels Sprecher Steffen Seibert aber nichts wissen wollte. Dass Merkel laut wird, wäre auch sehr untypisch für sie.

Erst um 21.30 Uhr am Dienstagabend lag das Memorandum of Understanding, das die Unterhändler aus Athen und den Institutionen EU, EZB, ESM und IWF ausgearbeitet haben, im E-Mail-Postfach des Finanzministeriums. 29 eng bedruckte Seiten – die Marschroute für Reformen und Privatisierungen, die die Griechen in den nächsten drei Jahren im Gegenzug für bis zu 86 Milliarden Euro Hilfen umsetzen müssen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble schaute im Urlaub auf der Nordsee-Insel Sylt über das Papier. Am Mittwoch signalisierte die deutsche Regierung dann ihr Wohlwollen. „Die Richtung stimmt“, sagte Seibert, der stellvertretend für seine Chefin ausdrücklich das Entgegenkommen der Griechen lobte.

Es wird wieder Verweigerer geben

Das ist auch ein Fingerzeig aus dem Kanzleramt in die eigene Koalition. Das verheerende Echo auf die Einigung in Brüssel vom 13. Juli, als Deutschland vor allem in den sozialen Netzwerken vorgeworfen wurde, Griechenland ins Verderben stürzen zu wollen, ist in Berlin nicht ohne Folgen geblieben.

Wie schon vor ihrem Urlaub in Südtirol steht Merkel massiv unter Druck: Damals hatten ihr 60 Abgeordnete der eigenen Fraktion die Unterstützung verweigert, als über die Aufnahme der Verhandlungen mit Griechenland abgestimmt wurde. Seitdem ist die Stimmung nicht besser geworden.

Unionsfraktionschef Volker Kauder schwang in einem Interview unverhohlen die Peitsche der Fraktionsdisziplin („Wer Nein sagt, hat in wichtigen Bundestagsausschüssen nichts mehr verloren“) und löste erhebliche Irritationen bei seinen Leuten aus. Abzuwarten ist, ob es CDU-Mann Kauder gelingt, bei der kommenden Abstimmung die Zahl der Abweichler kleiner zu kriegen.

An einer weiteren Eskalation haben die Athen-Skeptiker in der Union kein Interesse. Deren Wortführer Christian von Stetten blies unter der Woche eine Revolte schon einmal ab: „Keiner sollte nachtragend sein und in Zukunft lieber die gute Fraktionskameradschaft betonen.“ Aus der SPD sind kritische, vor allem aber unterschiedliche Stimmen zu hören. Bei einigen ist der Ärger über Schäuble noch nicht verraucht, der als Hardliner und Grexit-Anhänger eine Einigung mit Athen verschleppe, sagen die einen. Die von Seibert gebrauchte Formulierung „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“ sei nur eine Ausrede, meint etwa SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer.

Das Thema ist nicht vom Tisch

Umgekehrt warb sein Fraktionskollege Johannes Kahrs für mehr Zeit. Das Ziel, bis zum 20. August ein neues Programm zu haben, dürfe nicht dazu führen, dass „ungare Lösungen“ ein gutes Ergebnis gefährdeten. Wenn es also bis September oder Oktober dauern sollte, wäre das auch nicht tragisch.

Und eigentlich wissen es alle: Auch mit einer Einigung über das dritte Hilfspaket ist das Thema Griechenland noch lange nicht vom Tisch. Nicht nur der IWF glaubt, dass ohne einen Schuldenschnitt eine Rückkehr Athens zu einigermaßen stabilem Wachstum unmöglich ist. Merkel, Schäuble und die Union lehnen diesen Schritt bisher strikt ab. „Wir wollen, dass der IWF an Bord bleibt“, heißt es. Aber zu welchen Bedingungen? Wie eine Kehrtwende der Kanzlerin aussehen könnte, mag sich noch niemand vorstellen.

Der weitere Fahrplan in den EU-Ländern

In Estland genügt als Zustimmung zum dritten Hilfspaket eine einfache Mehrheit der 101 Abgeordneten im Parlament. Die Sondersitzung findet voraussichtlich Anfang nächster Woche statt. In Lettland hat Regierungschefin Laimdota Straujuma angekündigt, für ein neues Hilfspaket die eigentlich nicht notwendige Zustimmung des Parlaments in Riga einholen zu wollen. In Finnland entscheidet ein besonderer Parlamentsausschuss am Donnerstag, ob die finnische Regierung dem neuen Hilfspaket für Griechenland zustimmen darf oder es ablehnen soll. In den Niederlanden ist keine ausdrückliche Zustimmung durch das Parlament erforderlich.

Die Regierung entscheidet selbst, hat aber gegenüber den Abgeordneten eine Informationspflicht. Es wird erwartet, dass Anfang kommender Woche im Parlament über das neue Spar- und Hilfsprogramm für Griechenland debattiert wird. In Österreich muss eine Zustimmung für das neue Hilfspaket zwingend durch den ESM-Unterausschuss des Nationalrats erfolgen – das europäische Geld soll diesmal aus dem Euro-Rettungsfonds ESM kommen. Die 18 Mitglieder des Gremiums kommen in Wien am 18. August zusammen. Ob das gesamte Parlament zu einer Sondersitzung zusammengerufen wird, ist noch nicht entschieden. In Portugal müssen die Abgeordneten der Assembleia da República über das Hilfspaket abstimmen, haben dafür aber noch keinen Termin. Die Finanzhilfen werden von der konservativen Regierung gutgeheißen. In Lissabon ist die Sorge besonders groß, dass ein Scheitern Griechenlands eine Ansteckungsgefahr bedeuten würde. In Spanien wird das Parlament voraussichtlich nächste Woche bei einer Plenarsitzung über die neuen Milliardenhilfen abstimmen. Text: dpa

 
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