So viel Ehre und Aufmerksamkeit werden nur wenigen ausländischen Regierungschefs zuteil. Nicht im nüchternen Kanzleramt, sondern im prächtigen Barockschloss Meseberg bei Gransee in Brandenburg, dem Gästehaus der Bundesregierung, traf sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern Abend mit dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi, ehe am heutigen Dienstag im Kanzleramt die Kabinette beider Länder gemeinsam tagen. Bei guten Speisen und noblen Weinen besprachen die Kanzlerin und ihr Amtskollege aus Neu-Delhi an einem lauen Frühsommerabend im kleinen Kreis in der ländlichen Idylle am Huwenowsee die großen Probleme der Welt.
Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Nach dem mehr oder weniger gescheiterten Treffen der Staats- und Regierungschefs der sieben führenden westlichen Industrienationen am Wochenende im sizilianischen Taormina hat die Bundeskanzlerin nun den G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg fest im Blick, den sie als Gastgeberin in jedem Fall zu einem Erfolg führen will.
Und mehr denn je spielen in den strategischen Überlegungen Merkels die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt, China und Indien, eine zentrale Rolle – als wichtige Handelspartner ebenso wie als politische Akteure, deren Gewicht weiter wächst. Unmittelbar nach dem indischen Ministerpräsidenten Modi empfängt die Kanzlerin am Mittwoch und Donnerstag den chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang, der mit etlichen Ministern seines Kabinetts und einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation nach Berlin kommt. Den gemeinsamen Regierungskonsultationen im Kanzleramt folgt der Besuch eines deutsch-chinesischen Wirtschaftsforums.
Mehr G20, weniger G7?
Indien und China statt USA? Mehr G20, weniger G7? Ist das gesteigerte Interesse der Kanzlerin an den beiden asiatischen Großmächten Ausdruck einer Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik, nachdem Angela Merkel am Sonntag mit Blick auf das unkooperative Verhalten von US-Präsident Donald Trump auf dem Nato-Gipfel wie auf dem G7-Gipfel eine stärkere Emanzipation Europas von den USA gefordert hatte? Ohne Trump beim Namen zu nennen, hatte sie gesagt: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei.“ Die Europäer müssten ihr Schicksal „wirklich in unsere eigene Hand nehmen“.
Doch von einem Bruch der traditionell guten deutsch-amerikanischen Beziehungen will man am Montag in Berlin nichts wissen. Merkel habe diese Worte als „eine zutiefst überzeugte Transatlantikerin“ gesagt, sagt ihr Sprecher Steffen Seibert. „Gerade weil die transatlantischen Beziehungen so wichtig sind, ist es auch richtig, die Differenzen ehrlich zu benennen.“ Das Verhältnis zu Washington sei unverändert ein „fester Pfeiler der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“. Auch halte die Regierung unverändert beide Formate, G7 und G20, mit ihren jeweiligen Schwerpunkten für bedeutend. Man wolle nicht „das eine Format gegen das andere ausspielen oder über das andere stellen“, sagt Seibert. G20 sei „ein Wert an sich, weil mit China, Indien und Russland große globale Akteure an einem Tisch sitzen“ und explizit finanz- und wirtschaftspolitische Fragen besprechen.
Partner beim Klimaschutz
In Berlin registriert man gleichwohl mit großem Interesse, wie sich sowohl Peking als auch Neu-Delhi als Partner der EU in Stellung bringen und die Leerstelle, die sich durch den isolationistischen und protektionistischen Kurs der USA unter Donald Trump auftut, besetzen wollen. Beide Regierungen unterstreichen demonstrativ den Wert des Freihandels und setzen sich für die gegenseitige Öffnung ihrer Märkte ein, beide Länder gehören mittlerweile zu den aktivsten Verfechtern des Pariser Klimaschutzabkommens, da sie erkannt haben, dass ihre eigene Stabilität von Verbesserungen beim Klimaschutz abhängt.
Zudem sucht gerade Indien, das sich durch die offene Großmachtpolitik Chinas eingeengt fühlt, den Schulterschluss mit der internationalen Staatengemeinschaft, Berlin sieht im Gegenzug in Indien zusammen mit Japan und Australien einen wichtigen Partner für die demokratische Entwicklung des Asien-Pazifik-Raumes. Als Gegengewicht zu China könnte Indien, die größte Demokratie der Welt, im Fernen Osten stabilisierend wirken.
Indiens Premier Narendra Modi weiß um die Beachtung, die ihm und seinem Land in Europa entgegengebracht werden. Nach dem zweitägigen Aufenthalt in Berlin geht seine Werbetour durch Europa weiter – und auch in Madrid, Paris und Moskau wird er mit offenen Armen empfangen. Und schon Anfang Juli kommt er wieder – zum G20-Gipfel.