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BERLIN
Merkel bewahrt beim Brexit demonstrativ Ruhe
GERMANY-UKRAINE-DIPLOMACY       -  Kanzlerin Angela Merkel am Montag in Berlin.
Foto: John MacDougall, afp | Kanzlerin Angela Merkel am Montag in Berlin.
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:08 Uhr

Angela Merkel hat schon ruhigere Nachmittage verbracht. Wladimir Groisman, der neue ukrainische Ministerpräsident, hat seinen Antrittsbesuch bei ihr kaum beendet, da fährt bereits Donald Tusk vor dem Kanzleramt vor, der Präsident des Europäischen Rates. Er kommt gerade aus Paris, von wo aus sich ein paar Stunden später auch der französische Präsident François Hollande auf den Weg nach Berlin macht.

Und als könne die Krise, in die die Briten Europa mit ihrem Referendum am Freitag gestürzt haben, nur in Deutschland gelöst werden, reist aus Rom auch noch Matteo Renzi an, der italienische Regierungschef. Sicher allerdings ist nach ihrem gemeinsamen Abendessen nur eines: dass noch nichts sicher ist.

Wie die Briten ringt auch die Kanzlerin noch mit sich. „Die Bundesregierung will keine Hängepartie“ lässt sie ihren Sprecher Steffen Seibert vor ihren diversen Treffen ausrichten. Das klingt plötzlich, als sei es allenfalls noch eine Frage von Tagen, bis das Austrittsschreiben aus London in Brüssel vorliegen müsse, als stimme auch Angela Merkel in den Chor derer ein, die jetzt rasch Fakten schaffen wollen.

Tatsächlich hat sie es nicht ganz so eilig. Dass die britische Regierung nun noch Zeit benötige: Dafür, beteuert sie, habe sie gewisses Verständnis. Den Brief aller Briefe, hat Seibert bereits durchblicken lassen, werde ja vermutlich erst der neue Premier abschicken – und der soll sein Amt bekanntermaßen erst im Oktober antreten. Die Kanzlerin selbst hat bereits am Wochenende signalisiert, dass sie keinen Grund sieht, mit den abtrünnigen Insulanern nun „besonders garstig“ zu sein. So spontan und offensiv sie zuletzt in der Flüchtlingskrise agierte, so zurückhaltend versucht sie nun, den Neuanfang in Europa zu organisieren.

„Die Mitteilung muss von der britischen Regierung geschickt werden, und da habe ich weder eine Bremse noch habe ich da eine Beschleunigung.“
Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Das Betriebsklima in der Großen Koalition wird dadurch nicht besser.

„Das Signal der Staats- und Regierungschefs muss lauten: Klarheit statt Taktiererei, entschlossenes Handeln statt Zaudern“, verlangt SPD-Chef Sigmar Gabriel vor der Sondersitzung des Bundestags am Dienstag und dem anschließenden Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel.

„Wer mit dem Feuer spielt, darf sich nicht wundern, wenn es brennt“, sekundiert Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht. Damit zielen beide vor allem auf Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), der alles spürt, nur keinen Zeitdruck, und der den Briten nach eigenen Worten die Möglichkeit geben will, „noch einmal die Folgen eines Austritts zu bedenken.“ Ob seine Chefin, die Kanzlerin, das ähnlich sieht, ob sie auch noch an einen Ausstieg vom Ausstieg glaubt, bleibt unklar an diesem turbulenten Berliner Tag. Etwas umständlich, wie es häufig ihre Art ist, sagt Merkel lediglich: „Die Mitteilung muss von der britischen Regierung geschickt werden, und da habe ich weder eine Bremse noch habe ich da eine Beschleunigung.“ Das heißt: Zunächst einmal ist jetzt London am Zug – und nicht sie.

Mit einigem Erstaunen haben Merkels Vertraute im Kanzleramt registriert, wie forsch neben Gabriel auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Moment agiert, der bereits am Wochenende seine Kollegen aus den Gründerstaaten der EU nach Berlin eingeladen hatte und der am Montag in Prag gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Jean-Marc Ayrault versuchte, den osteuropäischen Mitgliedsländern ihre ärgsten Sorgen vor den Folgen des Brexits zu nehmen. Gleichzeitig ließ er auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes ein zehn Seiten langes Denkstück veröffentlichen, in dem Ayrault und er sich unter der Überschrift „Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt“ unter anderem für eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik, eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik und für soziale Mindeststandards in der EU stark machen.

Während die Kanzlerin noch abwartet, so scheint es, ist ihr Außenminister schon einen Schritt weiter. Spekulationen, Steinmeier verfolge seine eigene Agenda, weisen die Sprecher von Auswärtigem Amt und Kanzleramt jedoch pflichtschuldig zurück.

Beide Häuser, so betonen sie wortgleich, betrieben Politik „aus einem Guss.“ Eine handfeste Regierungskrise in Berlin soll der Brexit nun nicht auch noch auslösen. Im Großen und Ganzen, sagt denn auch Steinmeiers Staatsminister Michael Roth in der ARD, seien sich die Mitglieder des Kabinetts ja einig. Es gebe nur „verschiedene Temperamente.“

 
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