Ups, ertappt! Da lacht sich der ganze Saal schlapp, als Birga Dexel die Geschichte von dem Kater aus den USA erzählt, der in der Nachbarschaft BHs, Socken und Handtücher von den Wäscheleinen mopst. Als „Dusty the Klepto Kitty“ hat er das Internet und sogar die Late-Night-Show von David Letterman gerockt. Ach ja, meldet sich die Erinnerung, hier in der Nähe gab es doch auch mal so einen Frechdachs. Der hatte es auf fremde Handschuhe abgesehen.
Das Publikum amüsiert sich jedenfalls köstlich über Dusty. Bis Birga Dexel, Katzen-Therapeutin und Fernsehmoderatorin bei Vox („Hundkatzemaus“, „Katzenjammer“), auf der Bühne zwei Schritte nach vorne macht, die Stirn runzelt und sagt: „Na ja, das Tier hat ein Problem. Es ist einfach unterfordert.“ Und in der hintersten Reihe stupst eine Zuhörerin ihre Nachbarin an und sagt: „Siehst du!“
So kann man sich täuschen. Kichert über den Schabernack, den die heimische Portion Fell so treibt, und sieht nicht, dass da womöglich ein Problem ist. Kann mal vorkommen? Allein fast 13 Millionen Katzen und acht Millionen Hunde leben in deutschen Haushalten. Gewaltige Zahlen. Wir unterstellen vielen Besitzern, ihr Tier gut zu kennen und entsprechend zu behandeln. Diesen Anspruch erhebt man ja auch für sich selbst. Und dann fährt ein Experte nach dem anderen auf, Tierarzt, Tiertherapeut, Wissenschaftler, geballt in anderthalb Tagen. Hört teils unglaubliche Geschichten über Irrglauben, Fehlinterpretationen und Missverständnisse im Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Zweifelt natürlich erst an den anderen – und irgendwann, so ein klein wenig, an sich selbst.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier
Bregenz am Bodensee. Ein prächtiger Samstag. Die halbe Stadt bevölkert die Promenade. Nur drinnen im Vorarlberg-Museum ziehen etwa 80 Besucher – Frauenanteil an die 90 Prozent – dämmriges Tagungslicht den Sonnenstrahlen vor. „Animalicum“ nennt sich das hier leicht gruselig, Untertitel: „Der Tier & Wir Kongress“.
Wenn man so will, ein länderübergreifender Mensch-Haustier-Kurs für Anfänger und Fortgeschrittene. Kostenpunkt: 150 Euro pro Nase. Jemand hat einen schwarzen Spitz mitgebracht, der ein paar Mal nervös anschlägt. Vielleicht ist es ihm zu laut, das kann man nur mutmaßen.
Überhaupt könnte man viel über Hunde mutmaßen. Warum bettelt Bello ausgerechnet jetzt am Tisch, wo er doch sonst . . . ? Warum hört er jetzt aufs Wort, wo er doch sonst . . . ? Und, gell: Dass er einen zur Begrüßung fast umreißt, ist pure Liebe. Oder doch nicht? Nun: Der nervöse Spitz unter dem Stuhl ist nur eine Art Gasthörer. Denn zu 99 Prozent wird es in diesen Stunden um die Katze gehen, der Deutschen liebstes Haustier. Die hat ihren Reiz besonders darin, dass sie ein großer Individualist ist, schwer zu durchschauen, sehr unabhängig und eigensinnig.
So unabhängig und eigensinnig, dass sie sich eigentlich „nicht für die Domestizierung“ eignet, sagt der Paläontologe Professor Marcelo Sánchez von der Universität Zürich. Der Mensch hat die Wildkatze auch erst vor etwa 4000 Jahren verhäuslicht, erzählt er, und das auch eher zufällig. Die Katze war auf der Suche nach Mäusen und fand diese in der Nähe von Menschen. Später hat der Mensch das Tier dann genutzt zur Eindämmung der Mäusepopulation. Zum Vergleich: Der Hund wurde schon vor mindestens 15 000, wenn nicht gar 30 000 Jahren zum häuslichen Gesellen, erzählt Sánchez. Kuh, Ziege, Schaf, Lama, Schwein, alle waren sie vor der Katze da.
Heute kuscheln und kraulen, füttern und filmen wir sie – und doch will die Beziehung mitunter nicht so laufen, wie wir uns das vorstellen. Ein einziges Kommunikationsproblem. Aber nicht nur. Das beginnt schon bei der Anschaffung.
Daphne Ketter ist Tierärztin in München und auf Verhaltensmedizin spezialisiert. Sie sagt: Viel zu selten würden sich Menschen ganz grundlegende Fragen stellen. Hole ich ein Tier ins Haus, nur weil die Kinder das wollen? Rechne ich damit, dass es sich verändert, wenn wir umziehen? Oder wenn ich ihm eine Zweitkatze vor die Nase setze?
Beispiel: Eines Tages kam ein Kunde in ihre Praxis und klagte, sein Kätzchen verstecke sich ständig. Da gebe es bestimmt ein organisches Problem. Die Wahrheit war: Der Besitzer lebte in einer Stadtwohnung. Die Katze dagegen war auf dem Bauernhof geboren, sie kam mit dem Ortswechsel nicht klar.
„Du liebst die Katze mehr als mich“
Die Mensch-Tier-Welt, sie kann voller Missverständnisse sein. Da beißt und kratzt das Tierlein, und der Besitzer sagt: „Ist halt so.“ Oder gar: „Ist doch nur ein Liebesbiss.“ Dabei kann ein ernsthaftes Problem dahinterstecken bis zur Tatsache, dass „ein Katzenbiss für den Menschen lebensgefährlich sein kann“, warnt Ketter. Sie hat schon erlebt, dass nach Infektionen Gliedmaßen amputiert werden mussten. Manches klingt nachvollziehbar, vielleicht sogar vertraut.
Unglaublich dagegen sind diese zwei Geschichten aus Ketters Praxis. Die eines Besitzers, der das Fell seines weißen Persers mit einem Waschmittel für Kleidung bearbeitete – mit der Folge übler Hautschäden – und sich so rechtfertigte: Auf der Packung stand, dass die Wolle nicht verfilzt. Ein anderes Mal klagte ein Kunde, seine Siamkatze miaue penetrant und laut. Die Fachwelt sagt dazu: Sie vokalisiert viel. Dann fragte er doch ernsthaft, ob die Ärztin nicht die Stimmbänder durchtrennen könne. Fehldeutung? Missverständnis? Kommunikationsproblem? In diesen Fällen wohl eher: Tierquälerei.
Die Grundsatzfrage hinter solchen Erfahrungen ist die: Was wissen wir schon, was das Tier bewegt, wie es tickt, was es denkt, fühlt, sagen will? Katzen-Therapeutin Birga Dexel jedenfalls glaubt zu wissen: Wir verlangen unseren Tieren viel ab, manchmal zu viel. Dann zählt sie auf: Katzen sind eigentlich dämmerungsaktiv, aber wir zwingen sie, sich an unseren Schlafrhythmus anzupassen. Sie sollen jederzeit als Kuschelpartner zur Verfügung stehen. Sie sollen dort schlafen, wo wir uns das vorstellen, und sich dort trollen, wo wir eine Tabuzone errichtet haben. „Warum sollen Katzen nicht ins Schlafzimmer?“, fragt sie rhetorisch in den Raum hinein. Tuscheln in einigen Stuhlreihen.
Dexel legt nach. Die Krux daran sei, sagt sie, dass wir gleichzeitig unsere Katzen unterfordern – zumindest die ohne Freigang. „Glauben Sie, dass sie sich mit einem Leben zwischen Sofa und Futterplatz zufriedengeben?“ Mit dem Ergebnis, dass sie ihren Jagdtrieb nicht ausleben können und sich „Katzenhobbys“ suchen. Den Kühlschrank öffnen, den Müll plündern oder eben die BHs der Nachbarinnen klauen. Die Lösung lautet: Beschäftigung. Der Moment, als sich das eigene schlechte Gewissen meldet.
„30 Prozent der Katzen“, sagt Birga Dexel dann noch, „hätten ein besseres Leben, wenn die Halter mehr über ihre Bedürfnisse wüssten.“ Und ihnen ein Grundkurs beim Tierarzt zur Pflicht gemacht würde, schickt Heide Lim Leher in der Kaffeepause hinterher. Eine sehr gepflegte 75-jährige Dame, im Ruhrpott geboren, seit 2000 in Bregenz zu Hause. Dann erzählt sie von ihren 30 Jahren in Schweden („Immer mit Katzen“), ihrem Mann, einem Chinesen, der schon mal sage: „Du liebst die Katze mehr als mich.“ Überhaupt: Mimi. Gut über zehn, vom Tierschutzverein, eigenwillig, aber ein Herzerl. Doch nie habe sie „gesprochen“.
Bis vor kurzem. Erst zaghaft, jetzt immer öfter. Wie das sein kann, fragt sie später Professor Susanne Schötz. Die ist Phonetikerin an der Universität Lund in Schweden und hat ein spannendes Forschungsprojekt: Sie erkundet, mithilfe welcher Laute Katzen mit Menschen kommunizieren. Das ist ziemliches Neuland. Derzeit ist sie im Stadium des Sammelns. Sie hat selbst fünf Katzen, beobachtet und filmt, wann immer es geht. Man muss wissen: Katzen geben nur deshalb Laute von sich, weil sie gelernt haben, dass wir Menschen darauf reagieren. Untereinander miauen Katzen eigentlich nie.
Heulen, Knurren, Fauchen, Kreischen
Schötz hat neun Kategorien für die „Katzensprache“ geschaffen: Miauen (Ich will deine Aufmerksamkeit), Gurren (freundlicher Begrüßungslaut), Gurr-Miauen (Bitte hör mir zu) bis zu Heulen, Knurren, Fauchen, Kreischen, Schnattern und Schnurren. Letzteres kann mehrere Gründe haben: Zufriedenheit, Angst, Schmerz, die Katze bekommt Junge oder sie stirbt. Und warum „spricht“ nun Mimi? Susanne Schötz kennt Mimi nicht, hat aber doch eine Antwort: „Weil sie gelernt hat, dass sie so mit Ihnen kommunizieren kann.“
Frau Lim Leher lächelt. Auch als sich aus dem Publikum Professor Frank Nestmann zu Wort meldet. Der Psychologe aus Dresden hat schon am Vorabend referiert. Jetzt will er noch sagen, dass Katzenbesitzer eher introvertiert, sensibel und emotional seien. Und Hundebesitzer? „Pragmatischer, dickhäutiger und einfacher gestrickt.“ Der Saal tobt. Das soll er sich mal bei einem Hunde-Kongress trauen.