zurück
WÜRZBURG
Mehr Schutz an Spielautomaten
Aus fürs Punktespiel? Die Bundesregierung will für mehr Schutz am Spielautomaten sorgen.
Foto: Angelika Warmuth, dpa | Aus fürs Punktespiel? Die Bundesregierung will für mehr Schutz am Spielautomaten sorgen.
Melanie Jäger
Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:07 Uhr

Die Bundesregierung weist die Spielautomatenbranche in ihre Schranken: Das sogenannte Punktespiel, bei dem der eingeworfene Geldbetrag sofort in Punkte umgewandelt wird, soll verboten werden, da mit diesem „Kunstgriff“ maßgebliche Regelungen zum Spielerschutz wie maximale Spieldauer, Höchsteinsatz oder Maximalverlust umgangen werden. Experten weisen seit Jahren auf das daraus resultierende hohe Suchtpotenzial hin. 2012 legte der für Spielhallen zuständige damalige Wirtschaftsminister Philipp Rößler eine erste Fassung der Novelle vor, die den Ländern nicht weit genug ging. Sie ergänzten sie um das Verbot des Punktespieles. Nun einigte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sich mit den Ländern auf die Umsetzung dieser Verordnung.

Bestätigt die Europäische Kommission den Beschluss, muss sich die Automatenindustrie in spätestens drei Monaten auf eine gigantische Umrüstung einstellen. „Wir haben natürlich mehrere Szenarien im Kopf, wenngleich wir noch nicht wissen, ob die EU das Verfahren in dieser Form ohne Änderungen durchlaufen lässt“, erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Automatenwirtschaftsverbände, Dirk Lamprecht, auf Anfrage dieser Zeitung. „Es wird eine Übergangsfrist geben müssen, denn es geht um eine Viertelmillion Geräte, die hier seit acht Jahren zugelassen sind.“ Und diese Zulassung sei schließlich von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt und dem Bundeswirtschaftsministerium ohne Einschränkungen erteilt worden.

Die Industrie verdient mit dem Automatenglücksspiel in 8000 Spielhallen und 225 000 Spielgeräten bundesweit Milliarden. Da die Bundesregierung bei einem Verbot mit Schadensersatzklagen in beträchtlicher Höhe rechnen muss, zeigte man sich bislang beim Thema Punktespiel zurückhaltend. Diese Zurückhaltung kritisiert der international anerkannte Würzburger Suchtexperte und ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, Professor Jobst Böning, seit Jahren massiv. So sei es aus suchtmedizinischer Sicht fatal, dass die Spielverordnung 2006 gelockert worden sei und hinter den Vertreibern der Geräte eine starke Lobby stehe, die strengere Auflagen verhindere.

Immer mehr Geräte, schnellere Spiele und die Umrechnung des eingesetzten Geldes in Punkte bedeuten laut Experten ein hochgradiges Suchtpotenzial. Denn wer in Punkte statt in Geld rechne, verliere schnell den Überblick und den Bezug zur eigentlichen Geldsumme. Dreiviertel der Glücksspielsüchtigen kommen laut Würzburger Suchtforschern aus dem gewerblichen Automatenmarkt. 56 Prozent der Umsätze würden mit Suchtkranken gemacht.

Sozialpädagogin Petra Müller bestätigt das hohe Gefährdungspotenzial der Punktespiele. Sie arbeitet seit 2008 als Glücksspielsuchtberaterin beim Diözesan-Caritasverband in Würzburg und kennt die Schicksale vieler spielsüchtiger Menschen und deren Familien in Unterfranken. „Je früher ein süchtiger Spieler professionelle Hilfe bekommt, desto größer sind die Chancen auf Besserung – Heilung gibt es bei Suchtkranken nicht“, sagt Müller. Zu 80 Prozent sind es Männer, die in die Beratungsstelle kommen – quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten. Auch Minderjährige seien dabei, obwohl das Glücksspiel erst ab 18 Jahren erlaubt ist. „Die meisten kommen erst dann, wenn die Verzweiflungsphase einsetzt“, sagt Therapeutin Müller. Wenn das Leben schon völlig aus dem Ruder gelaufen ist, der Verlust aller sozialer Kontakte droht, der Arbeitsplatz weg ist oder der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.

Auch Angehörige werden beraten, denn meistens bricht nicht nur ein Leben zusammen. Der Weg aus der Sucht ist steinig und hart, sagt Müller. „Aber wenn er gelingt, entdecken die Menschen ihr Leben wieder.“

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Melanie Jäger
Bundesministerium für Wirtschaft
Caritas
Europäische Kommission
Geldbeträge
Petra Müller
SPD
Sigmar Gabriel
Spielautomaten
Spielsalons
Suchtkranke
Suchtmedizin
Verordnungen
Wirtschaftsminister
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen