Der Kontrast war nicht zu verleugnen: Mit Theresa May und Emmanuel Macron trafen sich gestern in Paris eine Regierungschefin und ein Staatschef zu einem Arbeits-Abendessen, deren Situation unterschiedlicher nicht sein könnte. Die britische Premierministerin, massiv geschwächt durch eine bittere Wahlschlappe, wurde von einem Präsidenten empfangen, der nach der ersten Runde der Parlamentswahlen am Sonntag strahlender dasteht denn je. Beim zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag dürfte Macrons Partei „La République en Marche“ (REM) mit der Zentrumspartei Modem als Bündnispartner eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung gewinnen – mindestens 400 der insgesamt 577 Sitze scheinen absehbar. Das gibt ihm und seiner Regierung weitgehend freie Hand für die Umsetzung seiner Reformprojekte, während die Opposition auf ein Minimalmaß geschrumpft ist.
Neues Selbstbewusstsein
Während Macron bei seinen ersten internationalen Auftritten eine gute Figur machte und ein neues französisches Selbstbewusstsein ausstrahlte, scheint May in Europa isoliert. Auf EU-Ebene schlugen der britischen Regierungschefin zunehmend Ungeduld und Unverständnis entgegen. Der Chefunterhändler für den Brexit, der französische Konservative Michel Barnier, forderte gerade in einem Zeitungsinterview „Klarstellungen“ seitens der Regierung in London und drängte auf einen Beginn der Verhandlungen.
Während May stets erklärt hatte, überhaupt kein Deal sei für ihr Land immer noch besser als ein schlechter Deal, warnte Barnier vor einem Scheitern der Gespräche, das „gravierende und ernste Folgen für beide Seiten“ hätte. Macron werde ihr kaum entgegenkommen, analysierte die „Financial Times“ im Vorfeld des Treffens.
Terrorbekämpfung
Neben den anstehenden Verhandlungen über den EU-Austritt und noch vor dem gemeinsamen Besuch eines Fußball-Freundschaftsspieles zwischen den Nationalmannschaften beider Länder standen auf dem Menü des gestrigen bilateralen Treffens Gespräche über Maßnahmen für die gemeinsame Terrorbekämpfung. Unter den acht Menschen, die beim Terroranschlag in London Anfang Juni getötet wurden, befinden sich drei Franzosen; acht der 48 Verletzten waren ebenfalls französische Staatsbürger. Macron versicherte, Frankreich werde „weiterhin mit all seinen Kräften an der Seite des Vereinigten Königreichs und aller betroffenen Länder gegen den Terrorismus kämpfen“.
Brexit als „schwerer Fehler“
Der 39-Jährige war unter den Kandidaten, die May während des französischen Wahlkampfs empfangen hatte, der Einzige, der sich speziell an die vielen in London lebenden Franzosen gerichtet hatte. Bei dieser Gelegenheit bezeichnete er den Brexit als „schweren Fehler“ und als Entscheidung, bei der das Vereinigte Königreich mehr zu verlieren habe als die Europäische Union. Selbstbewusst lud er in einer Videoaufzeichnung auf Englisch Bankiers, Geschäftsleute, Akademiker und Wissenschaftler ein, von London nach Frankreich zu wechseln.
Nach seinem Amtsantritt zeigte Macron wiederum klar, welcher Partner für ihn Priorität habe: Kurz nach seiner Wahl reiste er nach Berlin zum Antrittsbesuch bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Kühl hatte ein Teil der britischen Presse im Mai die Nachricht von der Wahl des überzeugten Pro-Europäers aufgenommen, der für eine ambitionierte Vertiefung der EU und der Eurozone steht.
Zu Konzessionen drängen
Während Theresa May nach Frankreich aufbrach, sorgte auf der Insel am gestrigen Dienstag ein Bericht des „Telegraph“ für Aufregung. Das Blatt meldete, dass Mitglieder der konservativen Regierung geheime Gespräche über einen „weichen“ Brexit mit Abgeordneten der oppositionellen Labour-Partei führen würden. Die Kabinettsmitglieder wollten Premierministerin Theresa May zu Konzessionen bei der Einwanderung, der Zollunion und dem europäischen Binnenmarkt drängen, berichtete das Blatt am Dienstag.
Nach dem Bericht steht auch die Einrichtung einer parteiübergreifenden Brexit-Kommission. Die Kabinettsmitglieder glauben danach, dass May die Unterstützung von Labour braucht, um ihre Pläne für den EU-Austritt durch das Parlament zu bekommen. Nach Informationen der Zeitung weiß May von den Geheimgesprächen, hat aber bisher nicht eingegriffen.
Mit Informationen von dpa