„Wir haben genug von der Polizei“, riefen sie. „Wir wollen nicht länger erniedrigt werden.“ Und: „Wir wollen mehr Schulen haben.“ Zehntausende junge Marokkaner gehen seit Tagen auf die Straße und demonstrieren gegen Behördenwillkür, Korruption, Armut und mangelnde Zukunftschancen in ihrem Land. Der dramatische Tod eines Fischhändlers, der nach einem Streit mit Polizisten von einer Müllpresse zu Tode gequetscht wurde, entzündet die größten Demonstrationen, die Marokko seit dem Arabischen Frühling vor fünf Jahren erlebt hat.

Das Epizentrum der Proteste liegt in der nördlichen Region Al-Hoceima, wo viele Berber, die Urbevölkerung Marokkos, leben. Dort kam der 31-jährige Fischverkäufer Mouhcine Fikri um – in der Region schallten schon 2011 die Rufe nach mehr Bürgerrechten am lautesten.

Laut Augenzeugen hatten Polizisten Fikris Wagen gestoppt und eine Ladung Schwertfisch beschlagnahmt, den der Mann im Hafen erworben hatte, für den derzeit aber in Marokko ein Fangverbot besteht. Die Beamten sollen angeblich zunächst Schmiergeld verlangt haben, warfen den Fisch dann in einen Müllwagen – Fikri sprang hinterher. Als der Fahrer die Müllpresse – offenbar auf Befehl – in Gang setzte, wurde Fikri zermalmt.

Die grausamen Bilder in den sozialen Netzwerken empören das ganze Land. „Mörder, Mörder“, riefen tausende von Menschen, die nach dem tödlichen Zwischenfall an der Beerdigung Fikris im Ort Imzouren teilnahmen. „Wir sind alle Mouhcine.“ Die Demonstrationen breiteten sich bis in die Hauptstadt Rabat und in andere Orte aus. In Marrakesch, wo vom 7. bis 18. November die UN-Weltklimakonferenz stattfindet, stand auf Plakaten: „Willkommen zum Gipfel, wir zerfleischen die Menschen hier.“

Ein ähnlicher Vorfall hatte vor mehr als fünf Jahren in Tunesien eine Revolution gegen die damalige Diktatur ausgelöst. Damals hatten Polizisten einen Gemüsehändler schikaniert, der sich daraufhin als Zeichen des Protestes auf der Straße selbst anzündete und starb.